Don Giovanni trifft den Komtur: Sebastian Zimmler und Karin Neuhäuser in der Inszenierung von Antú Romero Nunes.

Postdramatischer Komödienstadel

Antú Romero Nunes: Don Giovanni. Letzte Party

Theater:Thalia Theater, Premiere:25.01.2013 (UA)Regie:Antú Romero Nunes

Wir dürfen mitsingen! Ach was dürfen – wir _sollen_! Jedenfalls gibt sich der verwuschelte Rokoko-Trübetrost, der da auf den gellenden Pfiff seines Herrn hin auf die Bühne gekommen ist und nun mit seiner derangierten Perücke vor uns steht wie ein schmalbrüstiger Doppelgänger von Milos Formans Amadeus – dieser trostlose Tropf also gibt sich alle Mühe, das Publikum mit vokalen Lockerungsübungen zu animieren: „Aaa“ macht die linke Hälfte des Parketts. „Ooo“ echot die rechte. „Iii“ (links) – „Aaa“ (rechts). Ja genau: So macht der Esel! Später lädt dann eine von der Frauenband mit zünftigem Hm-ta-ta-Schmäh gespielte Version der Register-Arie auch mal zum Mitschunkeln ein. Und der Titelheld des ganzen Unternehmens bittet zur Pause die Damen im Zuschauerraum zu seiner Party auf die Bühne (und wie auf Kommando drängen erstaunlich viele Damen zur Rampe, deren Durchschnittsalter erstaunlich deutlich unter dem des übrigen Premierenpublikums liegt). Man fühlt sich an diesem Abend streckenweise wie in einem postdramatischen Komödienstadel.

Eine Frauenband? Jede Menge Mädels auf der Bühne? Register-Arie? Richtig! Wir haben es tatsächlich mit Mozarts „Don Giovanni“ zu tun. Mehr oder minder jedenfalls. „Don Giovanni. Letzte Party. Eine Bastardkomödie frei nach Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte“ hat Antú Roberto Nunes diesen Abend übertitelt. Nunes ist als Jungregisseur hoch gehypt, und er kann tatsächlich eine ganze Menge. Am Hamburger Thalia Theater spielt er zur Eröffnung der _Lessingtage 2013_ virtuos auf der Klaviatur der Comedy, der Travestie und der Dekonstruktion à la Pollesch oder Castorf. Annabelle Witt hat die Helden aus Mozarts _Dramma giocoso_ in bunten Rokoko-Trash gesteckt. Und der Bühnenbildner Florian Lösche hängt lediglich drei konzentrische Scheinwerferkreise über die fast vollkommen leere Bühne, dort schweben sie wie die Triebwerke eines riesigen Ufos, senken sich, neigen sich, verwinkeln sich gegeneinander und geben dem tollen Treiben dadurch eine verblüffend starke Aura (Licht: Paulus Vogt).

Ansonsten ist der Titel Programm: Nunes macht aus Mozarts Womanizer einen wilden Partyflachleger und aus Leporello seinen bedröppelten Animateur. In den schönsten Momenten dieses an schönen Momenten armen, an schrillen Momenten aber reichen Abends kommentiert dieser Diener das Treiben seines Herrn mit wunderbar resignierten, gelangweilten, tieftraurigen Leidensmienen, das macht Mirco Kreibich wunderbar. Sebastian Zimmler als Don Giovanni dagegen hat das Augenrollen, Fuchteln und Hektisieren offenbar bei Otto Waalkes gelernt und gewinnt seiner Rolle damit vor allem eine Menge Flachsinn ab. Maja Schöne als Donna Anna, André Szymanski als Don Ottavio, Cathérine Seifert als Donna Elvira, Bruno Cathomas als Masetto und Gabriela Maria Schmeide als Zerlina bleiben mehr oder minder eindimensionale Knallchargen. Einzig Karin Neuhäuser als Komtur und Madame Tod bringt neben Kreibichs Leporello eine Aura, ein Geheimnis auf diese Bühne.

Die Inszenierung erhebt das Unfertige zum Programm und lebt vor allem vom Lach- und Mitmachtheater, was das Publikum mit animierter Begeisterung quittiert. Was das Ganze mit Lessing zu tun hat? Na gut – gelegentlich schwurbelt Zimmler-Giovanni Textpassagen, die nicht von da Ponte kommen, sondern eher aus dem Zettelkasten der performativen Dramaturgie; wir können nicht ausschließen, dass da auch was von Lessing dabei war. Als Auseinandersetzung mit Mozarts „Don Giovanni“ dagegen ist der Abend eine glatte Fehlanzeige. Und was der musikalische Leiter Johannes Hofmann mit Hilfe der Band (Catharina Boutari, Gesang; Anna Bauer, Keyboard; Kerstin Sund, Gitarre; July Müller-Greve, Bass; Carolina Bigge, Drums; Anita Wälti, Trompete; Natascha Protze, Saxophon) aus Mozarts Musik macht, ist schön schräg, mehr aber auch nicht. Im Interview bekennt der Regisseur mit entwaffnender Offenheit: „Zuschauer, die etwas erwarten, sind sowieso ein Problem.“ Da hat er Recht. Aber immerhin: wir durften mitsingen. Unerwarteterweise!