Foto: Antigone (Johanna Kapauf) und Kreon (Johanne Eiworth) © Judith Buss
Text:Detlev Baur, am 19. Februar 2023
Zu Beginn dreht Antigone am Radio und summt mit bei „Live is life“. Dieser 80er-Jahre-Song ist in jeder Hinsicht betont einfach, er verbindet sich gleich mit dem klaren, direkten Spiel Johanna Kappaufs. Sie ist ebenso wie Frangiskos Kakoulakis Mitglied des inklusiv erweiterten Ensembles der Münchner Kammerspiele. Im Zuge dieser neuen Ausrichtung des ehemals ausgesprochen literarisch-intellektuell geprägten Hauses hat Nele Jahnke nun die Sophokles-Tragödie „Antigone“ in „Leichter Sprache“ inszeniert. Das berühmte Chorlied beginnt auch da mit „Ungeheuer ist viel“, doch Kreons im Original komplexeres Verdikt zu Bestechung und Intrige lautet nun schlicht: „Geld zeigt: Wir sind zu allem fähig.“ Die ambivalente Verbindung zum Chorlied mag da etwas in den Hintergrund geraten, doch ist die Antigone als Figur auch im griechischen Original durchaus von Einfachheit und Klarheit geprägt: Die Dialoge, in denen sich der unauflösbare Konflikt zwischen Antigone und dem herrschenden Onkel Kreon manifestieren, sind kurz und knapp gehalten; abschweifende Umschreibungen der Sprecher:innen gibt es in der antiken Tragödie kaum – sie sind den sprachlich auch im Athen des Sophokles schon altertümlichen Chorliedern vorbehalten. Die sprachlich einfache „Antigone“ ist dem Original also durchaus nicht fremd, sie funktioniert gut und lässt den Darsteller:innen Raum für überzeugende Gestaltung der Figuren.
Familienverstrickungen
Johanna Kappauf und die anderen Mitglieder dieser von Fluch und tragischen Verfehlungen erschütterten Familie tragen einen seltsamen Kopfputz (Kostüme: Lea Søvsø), das Zentrum des Familienlebens ist ein weiter ovaler Tisch mit seltsamen Löchern, die es Ismene (Sebastian Brandes) nicht eben leicht machen, ein Tischtuch auszubreiten (Bühne: Sabina Winkler). Die Inszenierung konzentriert denn auch das Drama um die katastrophale Aufarbeitung eines mit einer Familienfehde verbundenen Bürgerkrieges stark auf die Folgen innerhalb der Familie. Als Kreon ist Johanna Eiworth ebenso wie Ismene gegen das „klassische“ Geschlecht besetzt. Der Konflikt mit der beschwingten, ihrer Sache sicheren, dabei aber nicht verstockt entrückten, sondern vielmehr freundlich-naiven Antigone, ist ein Familiendrama, in dem zwar kein Verständnis für den alternativen Blick da ist, wohl aber eine familiäre Grundverbundenheit immer im Bereich des Möglichen bleibt. Konsequenterweise klingt im zentralen Streitgespräch auch das „Antigone“-Drama von Jean Anouilh an, in dem der liebe Onkel von Anfang an unter seinem harschen Vorgehen leidet und die Tragödie zum Trauerspiel wird. Ähnlich beschwingt und lustvoll wie Johanna Kappauf agiert Frangiskos Kakoulakis als wohlmeinender Seher Teiresias – und zuvor auch mit Chorauftritten für den erkrankten Dennis Fell-Hernandez. Nancy Mensah-Offei spiegelt als Haimon wunderbar am anderen Ende des langen Tischs (der auch an Putins lange Tafel im Kreml erinnert) das verhängnisvolle Verhalten Kreons gegenüber der Verlobten des Sohnes. In Mensah-Offeis Auftritt als Berichterstatterin des Todes von eben dem Haimon und von Antigone wird die Familienkatastrophe dann nur noch kurz angetippt; das Sterben der Antigone bleibt in der Inszenierung eher unterbelichtet, ebenso wie die politischen Dimensionen des Stückes.
Fehlende Abgründe
Die seit wenigen Wochen am Münchner Residenztheater gezeigte Version der „Antigone“ konzentriert sich gerade hierauf, auf Fragen von Machtverteilung und Gehorsam innerhalb des Staates. Die Figur der Heldin ist dem Co-Autor Slavoj Žižek dabei ein Problemfall, weil sie in ihrem Abschied von der Welt verkündet, dass ihr unbedingter Drang zur Bestattung ausschließlich ihrem toten Bruder einer elternlosen Familie gelten konnte. In Johanna Kappaufs Spiel an den Kammerspielen hingegen wird da gar kein Problem sichtbar, vielmehr zeigt sich der klare Wille, den Bruder zu bestatten und die massiven Folgen freudig auf sich zu nehmen. Am Ende dieser in ihrer Einfachheit überzeugenden „Antigone“ ist dann die (teils tote) Familie wieder am Tisch versammelt, vielleicht hat nun Ismene doch die anfangs gewünschte „Normalität“ erreicht. Aber ist das echt und glaubwürdig? Zugleich erklingt Kae (ehemals: Kate) Tempests Song „Salt Coast, foul wind /Old ghosts…“. Am Schluss dieser in manchen Aspekten – wie jede „Antigone“-Neuauflage – unterbelichteten, die Vorlage aber in stimmiges Gegenwartstheater umwandelnden Inszenierung erklingt in einfachen Worten ein sehr komplexes Sprachkunstwerk. Die Abgründe des tragischen Konflikts der „Antigone“ werden somit im freundlichen Ende poetisch angedeutet.