Pique Dame Leipzig

Dunkel ist der Weinberg

Peter I. Tschaikowski: Pique Dame

Theater:Oper Leipzig, Premiere:10.05.2025Regie:Lorenzo FioroniMusikalische Leitung:Anna Skryleva

Lorenzo Fiorini inszeniert Tschaikowskis „Pique Dame“ an der Oper Leipzig mit Assoziationen der Gegenwart und dunkler Metaphorik. Eine Schichtung der Zeiten erzeugt verschwimmende Grenzen zwischen Realität und Schein.

Der traumatisierte, spielsüchtige Kriegsheimkehrer Hermann will der alten Gräfin das Geheimnis der drei Karten entlocken, die ihn reich machen sollen, und bringt sie bei dem Versuch um. Regisseur Lorenzo Fioroni will mit seinem Regiedebüt in Leipzig Peter I. Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ (1890) die Doppelbödigkeit, Assoziationsoffenheit und eine Art Zeitlosigkeit entlocken und nimmt dafür in Kauf, dass zumindest Raum und Zeit im atmosphärischen Nebel von Sebastian Hannaks Bühne ihre klaren Konturen verlieren.

Der Umweg, um dann doch gemeinsam mit der Kraft der musikalischen Emotion im Saal bei den Zuschauern anzukommen, führt durch eine Alptraumlandschaft, die sich wie ein erstarrter Lavastrom von rechts hinten bis zur Rampe ergießt. Mit Furchen, abgestorbenen echten 32 Jahre alten Weinstöcken, dazwischen Pfosten mit Lichtern. Vorn liegen neben einem Weinstock ein Stahlhelm und Blumen. Dunkel ist dieser metaphorische Weinberg, er könnte genausogut ein Gräberfeld sein.

Quer durch die Zeit kostümiert

Eine Frau mit Witwenschleier zieht einen Handwagen mit zwei Puppen hinter sich her. Vielleicht sollen das ihr Mann und ihr Kind sein? Junge Mädchen kichern über diese seltsame Alte. Das bleibt freilich eher eine Behauptung, wie dann die Pussy-Riot-Masken, die plötzlich unter den von Katharina Gault quer durch die Zeiten kostümierten jungen Mädchen im Hause der Gräfin auftauchen und wieder verschwinden. Da hat sich der Weinberg geöffnet für einen Salon, der mit einer ganz eigenen Melange aus Versatzstücken unserer Gegenwart und den Klischees eines verwitterten St. Petersburger Glanzes vom Ende des 18. Jahrhunderts spielt.

Pique Dame Leipzig

Lisa (Solen Mainguené), Hermann (Brenden Gunnell). Foto: Kirsten Nijhof

Im zweiten Akt verdoppelte sich dieser Salon noch einmal. Ein imaginärer Raum, in dem sich die Gestalten wie jene Gespenster bewegen, von denen immer wieder die Rede ist. Diese Schichtungen von Zeiten und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit ist ein durchgängiges ästhetisches Leitmotiv. Schon die ersten Sommerkleider der jungen Frauen oder die Uniformen der aufmarschierenden Kadetten sind nur wie Schürzen umgebundene Fassade. Oder die prächtigen Hüllen einer verklärten Erinnerung wie im Falle der Gräfin. Wenn Ulrike Schneider in dieser Rolle von ihren Erfolgen am französischen Hof erzählt, wird das zu einem seltenen Blick hinter die Fassade, bei dem ein Mensch berührt. Sonst dominiert die Verzerrung der Wahrnehmung, der falsche Schein, wie sie in Alpträumen vorherrschen. Schließlich haben Russen die sprichwörtlichen Potemkinschen Dörfer erfunden! Der Auftritt der Zarin wird hier zu einem wilden archaischen Ritual mit leerem Sarg, bei dem Maskierte Puppen in den Abgrund stürzen und verbrennen.

Perspektivlosigkeit und Finsternis

Dieser Weinberg im Herzen der Finsternis einer perspektivlosen Welt, aus der Spielsucht und Heroin (auch für Lisa) einen Ausweg nur vorgaukeln, ist dann auch der Schauplatz für das finale Spiel. Da ihm der Geist der Gräfin im Traum die Karten verraten hat, ist sich Hermann sicher, zu gewinnen. Es wird im wörtlichen Sinne zum russischen Roulett zwischen ihm und Lisas verlassenem, verbittertem Bräutigam Fürst Jeletzkij (ein vokaler Fels in der Brandung: Mathias Hausmann). Hermann verliert und erschießt sich selbst. Am Ende sind alle zu Boden gegangen in diesem Weinberg, der jetzt tatsächlich wie ein Schlachtfeld mit all denen übersät ist, die im Krieg mit dem Leben auf der Strecke geblieben sind – oder bleiben werden. Man erkennt noch im Verdämmern, dass Lisa nach Hermann sucht. Sie findet ihn nicht.

Pique Dame Leipzig

Lisa (Solen Mainguené), hinter ihr Hermann (Brenden Gunnell). Foto: Kirsten Nijhof

Im Graben sorgt die aus Russland stammende Dirigentin Anna Skryleva mit einem Gewandhausorchester, das auf der anderen Seite des Augustusplatzes gerade im Festivalformat Schostakowitsch auf den Notenpulten hat, für einen eigenständigen emotionalen Strom, der das Gespenstische und Ausweglose der Geschichte nachvollziehbar macht. Wobei nicht nur gelegentliche harte Schläge im Graben, sondern auch das eingespielte Donnerwetter hier als Ausrufezeichen wirken. Mitunter hat Brenden Gunnell als Hermann etwas Mühe, vokal über Wasser zu bleiben. Auch bei Solen Mainguenés Lisa könnte man auf einige Schärfen verzichten. Insgesamt überzeugen sie aber mit ihrem Einsatz. Im Ensemble fallen Nora Steuerwalds Polina und Tuomas Purisos Tomskij auf. Die Riesenchormassen haben Thomas Eitler de Lint und Sophie Bauer fabelhaft einstudiert.