Richters wichtigste Entscheidung aber ist durchaus dramaturgisch – er möchte an den Punkt gelangen, wo uns das wirre Durcheinander der Fabeln und Figuren als Achter- oder Geisterbahn erscheinen mag, deren Auf und Ab und Hin und Her sich im Grunde nur im Kopf des Helden Thomas Newton ereignet. Darum sitzt Alexander Scheer zu Beginn und auch später immer wieder im Sessel auf einem blitzartigen Steg mitten im Publikum; er ist oft nur der Beobachter, schaut Mummenschanz und Wimmelbildern zu und lässt die Träume und Alpträume nur bedingt an sich heran. So zeigt Richter, wie sehr die Figur schon „aus dem Spiel“ ist. Und selbst die Songs (sortiert aus Bowies Werken, von ganz alt bis ganz neu zur Zeit der Uraufführung) werden nur gelegentlich vom Bowie-Wiedergänger Scheer gesungen – auch alle anderen sind überaus gut bei Stimme: Yorck Dippe als alter Kumpel (der auch Saxophon spielt und gleich sterben muss), Tilman Strauß als beelzebübisch hinkender Höllenhund Valentine, Jonas Hien später als hohler Schönling Ben; grandios geradezu singt Gala Othero Winter als untotes Mädchen, das dem verzweifelten Todessucher Newton noch einmal etwas Hoffnung auf Rückkehr in ferne Galaxien gibt, und geradezu sensationell klingt Julia Wieninger als Assistentin, die dem düsteren „Dark Star“ Newton verfällt und den eher jammerlappigen Gatten (Thomas Mehlhorn) dafür beinahe ziehen lässt. Sachiko Hara, Johanna Lemke, Chris Scherer und Nina Wollny vervollständigen Richters toughe Musical-Truppe; speziell die „Teenage Girls“ (in Düsseldorf bloß Puppenklischees) bekommen hier richtig viel zu tun, im ständigen Wechsel der Kostüme.
Scheer lässt sich derweil lange treiben – stürmt dann aber plötzlich und wie in Explosionen rauf und runter, hin und her; als müsse er sich die Rolle auf der Bühne immer er-improvisieren. Das Programm weist erstaunlicherweise niemanden aus, der oder die für die Choreographie verantwortlich wäre; die aber hat’s auch in sich. Wie (natürlich!) die Musik – im Ensemble von Alain Croubalian findet sich auch die eigenwillige Bernadette la Hengst. Auch sie übrigens trägt Rot als Frisur – wie ziemlich viele im Ensemble: noch so ein Bowie-Effekt. Alexander Scheer zitiert viele Haltungen der Ikone herbei und mischt sie mit eigenen. Einmal trägt er sogar Gundermanns Kino-Brille…
Dieser akustische Blick in Bowies Kopf hinein ist enorm opulent, rasant und schräg, überbordend an Phantasie und mit jeder Faser, in aller aufgeplusterten Handwerklichkeit Theater pur. Wer mag, kann das „Broadway“ nennen – auch dort neigen ja die Geschichten dazu, letztlich am allerwenigsten zu interessieren. Demgegenüber jedenfalls haben sich Falk Richter und dieses starke Ensemble selbstbewusst behauptet.