Szene aus "Maria Magda"

Mit femininer Finesse gegen Gott

Svenja Viola Bungarten: Maria Magda

Theater:Theater Heidelberg, Premiere:29.04.2022Regie:Brit Bartkowiak

Gott ist auch nicht mehr der, der er einmal war. Im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters sieht er während der Eröffnung des 39. Stückemarkts mit der Eigenproduktion von Svenja Viola Bungartens „Maria Magda“ aus wie ein Dandy, dem die Machoallüren zu Kopf gestiegen sind: zu viel Testosteron im Blut, dazu noch der alberne rosafarbene Anzug und die gegelte Schwarzhaartolle. Das Sakko steht offen und gibt den Blick frei auf die nackte Brust. Der von Leon Maria Spiegelberg mit federnder Leichtigkeit gespielte Gott ist in den Klamotten der Kostümbildnerinnen Naomi Kean und Isabell Wibbekes eine lächerliche Figur. Aber höchstgefährlich, das ist er auch. Denn wenn er in den variationsreich wiederholten Schlussszenen des Gewinner-Stücks aus dem vergangenen Jahr als deus ex nebula (Gott aus dem Bühnennebel) die Szene betritt, führt er nichts anderes im Schilde, als die unbefleckte Empfängnis Marias mittels Vergewaltigung zu erzwingen.

Das – so zeigt es die 1992 in Koblenz geborene Autorin in ihrem als Grusical angelegten Stück – ist eine tief in der biblischen Legendenbildung verwurzelt Ursünde, der eine schier unendlich lange Kette weiterer Schandtaten an entrechteten Frauen folgte. Besonders brutal bei den Hexenverbrennungen, deren kulturgeschichtliche Nachwirkungen nun durch ein katholisches Mädchen-Internat irgendwo im tiefen, dunklen Wald geistern. Das klingt durchgeknallt – und soll es auch sein. Denn Svenja Viola Bungarten bedient sich in ihrem bereits im vergangenen Jahr kurz nach ihrem Stückemarkt-Triumph in Münster uraufgeführten Stück jener Stilelemente, die man aus der Schauerromantik und dem Horrorgenre kennt und die nun in einer bewusst überzeichneten Szenenfolge munter verhackstückt werden – frei nach der Methode der Splatter-Dramaturgie.

Höhepunkt des Abends ist der von Brit Bartkowiak artistisch-virtuos inszenierte Schlagabtausch zwischen der Internatsnovizin Maria und dem übergriffigen Gott, der bald am Boden liegt – als Opfer der eigenen toxischen Männlichkeit. Esra Schreier glänzt in dieser überaus komischen Kampfsport-Nummer und weist alle göttlichen Allmachtsfantasien mit femininer Finesse in ihre Schranken.

Grusel-Kabinett mit besonderem Humor

Als Internatsschülerin lernt Maria in dem Heim für schwererziehbare Mädchen auch die Hackordnung zwischen Girl-Mobbing, Cliquenbildung und klösterlichem Reglement kennen. Nachts quälen Albträume über ein bestialisches Nonnen-Geschwader und den Geist des „Hexenhammer“-Verfassers Heinrich Kramer die Mädchen. Seine 1486 erstmals in Speyer gedruckte Schmähschrift löste die mehrere Jahrhunderte anhaltende Hexenverfolgung aus. Aber noch weitere Spukgestalten und Schrecknisse bemächtigen sich der Schülerinnen, darunter Wahnvorstellungen über geschändete Heilige, denen die Brüste abgeschnitten oder die Augen ausgerissen wurden, eine Dritte wurde gar geköpft. Schandtaten, auf die rechts hinten in Alkohol eingelegte und wie in einem anatomischen Kabinett ausgestellte Präparate hindeuten, ein amputierter Penis inklusive (Bühnenbild: Hella Prokoph). Das sind Zutaten wie aus einer Gruselklamotte. Autorin und Regisseurin haben sichtlich Spaß daran, dieses Genre ordentlich durch die Mangel zu drehen, wobei ihnen das Publikum applausfreudig folgt. Eine Triggerwarnung in der Programm-Ankündigung aufgrund drastisch überzeichneter Szenen mit Theater-Menstruationsblut, sexualisierter Sprache oder einer symbolischen Abtreibung hätte es nicht bedurft, sie diente wohl eher dem Festival-Marketing.

Neben Maria durchleiden noch Hildie (Sandra Schreiber) und die auf die biblische Maria Magdalena anspielende Magda (Yana Robin La Baume) die Schrecknisse im Internat. Die Oberschwester (Christina Rubruck) und die Madonna Ha (Sandra Bezler) agieren teils als Zeremonienmeisterinnen, teils als Erzähler-Instanz, während der Bühnenmusiker Jeremy Heiß seinen persiflierenden Gothik-Sound aus den Boxen orgeln lässt und gekonnt doppelbödig auf Alicia Keys‘ „Girl on Fire“ anspielt.

Ein Novum für den Heidelberger Stückemarkt ist, dass er nicht mit einer Ur-, sondern einer Zweitaufführung eröffnet wurde. Passend: Denn die Festivalmacher setzen sich seit nunmehr zehn Jahren mit ihrer Sektion „Nachspielpreis“ für die künstlerische Nachhaltigkeit ein, damit der fast überall grassierende Uraufführungshype nicht zu einem Schwarm schnell vergessener Novitäten führt. „Maria Magda“ hätte auch noch eine dritte, vierte oder fünfte Inszenierung verdient.