Schlussszene mit Estelle Krüger (Lucrezia) und Sung Min Song (Gennaro)

„Es ist die Borgia!"

Gaetano Donizetti: Lucrezia Borgia

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:07.12.2025Autor(in) der Vorlage:Victor HugoRegie:Rahel ThielMusikalische Leitung:Roberto Rizzi Brignoli

Das Nationaltheater Mannheim zeigt Donizettis „Lucrezia Borgia“ in einer sehr reduzierten Inszenierung von Rahel Thiel. Es dominiert und überzeugt große Belcanto-Kunst.

Die leere Bühne von Fabian Wendling ist gerahmt von Boulevard-Schlagzeilen: „Hure oder Heilige?“, „Orgien!“ oder „Der Eid eines Fürsten ist heilig“. Das ist natürlich der Titelfigur geschuldet: Lucrezia Borgia, Papsttochter in der Renaissance, dreimal verheiratet als Pfand für den Einfluss ihres Vaters, Schwester von Cesare Borgia, berühmter Politiker, Machtmensch und Verbrecher. Lange hielt man Lucrezia – zeitgenössischen Urteilen folgend – für eine Mörderin und Giftmischerin.

Heute weiß man, dass sie das nie war, sondern „nur“ eine lebenslustige, Gedichte und Musik liebende Frau in einer Männerwelt. In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts schrieb der Stern eine kleine Serie über die „Giftmischerin“, in den 10er-Jahren des 21. Jahrhunderts gab es mehrere Fernsehserien über die Renaissance-Familie „Die Borgias“. Lucrezia war immer im Gespräch.

In Mannheim hat Regisseurin Rahel Thiel ihre Heldin – Estelle Kruger als Lucrezia – zurechtgemacht wie eine klassische Operndiva. Sie trägt drei Kostüme, die sie in der Bewegung behindern. Am Anfang des ersten Aktes muss sie sich links an der Rampe vor dem Publikum umziehen und sichtbar trinken. Wir haben also keinen Menschen vor uns, sondern eine Opernfigur. Eine Sängerin übrigens mit bestechender, sinnlicher Mittellage und leicht gefährdeter Höhe – durchaus herausragend. Das Publikum folgt ihr gerne durch das Stück.

Undurchsichtige Handlung

Im Prolog lernt sie ihren verlorenen Sohn Gennaro kennen, wird dann aber durch ihren schlechten Ruf – „Das ist die Borgia!“, rufen die Freunde – von ihm getrennt. Im ersten Akt verstümmelt Gennaro, noch wütend über die Begegnung, das Wappen der Borgias: Er bricht das „B“ heraus, und „Orgia“ bleibt übrig. Lucrezias Mann Alfonso ist eifersüchtig und will Gennaro hinrichten; Lucrezia rettet ihn in letzter Minute. Im zweiten Akt schließlich will Lucrezia Gennaros Freunde umbringen, weil sie sie im Prolog durch ihre Namensnennung von Gennaro getrennt haben. Sie bringt aber Gennaro mit um und bleibt zerstört zurück.

Die Story ist vor allem deswegen kompliziert, weil man Lucrezias Charakter nicht zu fassen bekommt. Ist sie die gute Mutter oder eher eitle Herrscherin? Donizetti und sein Librettist Felice Romani haben nach einem Stück von Victor Hugo gearbeitet, das nur zehn Monate vor der Opernpremiere in Mailand herauskam, und versucht, es auf Opernlänge zu komprimieren. Trotzdem bleiben verwirrende Nebenstränge in der Handlung, wie den über die Spione von Lucrezia und Alfonso, Gubetta und Rustighello, und über Lucrezias „Agenten“ Astolfo (sehr gut gesungen von Thomas Berau), der vom Chor in die Flucht geschlagen wird. Aber die Inszenierung lässt offen, wie das mit der Handlung zusammenhängt.

Rahel Thiel beschränkt ihre Regie auf abstrakte Zeichen. Die schwarz-weißen Kostüme (nur Lucrezia trägt Rot) von Rebekka Dornhege Reyes und Isabel Garcia Espino sind elegant und etwas reduziert. Der Männerchor, sehr gut einstudiert, trägt Schwarz und bewegt sich choreografisch. Das Borgia-Wappen steht als Schriftzug vor der Hinterwand; Buchstaben werden herausgebrochen und zu Requisiten.

Drama in der Musik

Beim Belcanto geht es – wie der dirigierende GMD Roberto Rizzi Brignoli im Programmheft erklärt – um die Gesangslinie, alles andere ist nachgeordnet. Dass das tatsächlich möglich ist, zeigt Sung Min Song als Gennaro: mit dunklem, etwas körnigem Tenor, leicht geführt und perfekt phrasiert. Diese Figur, seine Haltung, seine Emotion entsteht nur aus dem Gesang. Bartosz Urbanowicz als Alfonso singt rollendeckend, mit oft zu mächtig eingesetztem Bariton, Shachar Lavi als Orsini beeindruckt mit der Geläufigkeit ihres Mezzos, dem aber in den Ensembles noch die letzte Durchschlagskraft fehlt.

Musikalisch überzeugt der Abend, weil Rizzi Brignoli wie im Programmheft beschrieben „ein orchestrales Gewebe schafft, das die Stimme stützt, mit ihr atmet und mit ihr dialogisiert“. Die Musik lässt tatsächlich ein Drama spüren – eines, das auch akustisch gut ins OPAL passt, der Ausweichspielstätte des Theaters.