Ensembleszene in „Zwiegespräch“

Makabre Séance

Peter Handke: Zwiegespräch

Theater:Burgtheater Wien, Premiere:08.12.2022 (UA)Regie:Rieke Süßkow

„Genug jetzt!“, ermahnt flüsternd der eine den anderen, „genug jetzt ins Leere geschaut.“ Und ermunternder nun: „Auf, spielen wir weiter die Narren. Doch erst einmal erzähle ich. Achtung, Erzählung.“ – Mit dem für Peter Handke charakteristischen Impetus, den Aufruf zum Erzählen an den Anfang aller Weltbetrachtung und Theaterfindung zu stellen, beginnt auch seine jüngste Theaterprosa „Zwiegespräch“, erschienen im Frühjahr 2022.

Schauspielergeister

Es ist ein Gedankenspiel zwischen „zwei besonderen Narren“, gewidmet den beiden verstorbenen Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz, die 1987 als unsichtbare Engel Cassiel und Damiel in Wim Wenders‘ „Der Himmel über Berlin“ durch die damals noch geteilte Stadt geisterten. Peter Handke hatte am Drehbuch mitgearbeitet und sein „Lied vom Kindsein“ zog sich leitmotivisch durch den Film. „Zwiegespräch“ hingegen ist eine Art Stimmenspiel zweier „Herzensfreunde“ gegen Ende des Lebens, bar jeder Handlung, ohne Figuren-, Orts- und Zeitangaben, ohne Regieanweisungen oder eindeutig zugeordnete Figurenrede, das um zwei stets wiederkeh-rende Hauptmotive kreist: die Erinnerung an das Theaterhaus der Kindheit, ja die Kraft des Theaters, auf dem das Leben erschien, „wie es einzig auf dem Theater erscheinen konnte“, und an den idealisierten Großvater. „Mein Ahnenkult ist ein Urspiel“, heißt es im Stück, womit Handke auf seine Ahnenreisen, beginnend bei seinem Prosaerstling „Die Hornissen“ über „Wunschloses Unglück“ bis zu „Immer noch Sturm“, seinem Kopftheater über die slowenischen Vorfahren, verweist. Vielleicht ist „Zwiegespräch“ ja auch ein innerer Monolog des Dichters selbst, eine Art selbstreflexiver Erzählfluss, denn „Unsereiner hat auf Ruhe kein Recht“, wie es am Ende heißt.

Zwei Tage nach Peter Handkes 80. Geburtstag brachte nun Rieke Süßkow am Wiener Akademietheater das „Zwiegespräch“ des österreichischen Literaturnobelpreisträgers als vielstimmiges Streitgespräch der Generationen zur Uraufführung. Gemeinsam mit Bühnenbildnerin Mirjam Stängl verlegte die 32-jährige Berlinerin bei ihrem Burgtheater-Debüt Handkes flirrendes Erinnern im Angesicht der Endlichkeit in die Szenerie eines kasernenartig organisierten Altersheims.
Vor einem scheinbar endlos langen Paravent sitzen in dessen gezackten Nischen, aufgereiht neben Topfpflanzen, vier ältere Männer und eine Frau in weißer Unterwäsche. Bewacht von gespens-tisch synchron agierenden Pfleger:innen, putzen sie sich die Zähne, kleiden sich an und spielen eingeschüchtert Stuhlpolonaise, sobald schrill gepfiffen wird. „La Paloma, ohé, einmal muss es vorbei sein“, singen Maresi Riegner und Elisa Plüss in langen, weißen Latexschürzen. Wer keinen Stuhl ergattert, scheidet aus und wird unsanft durch eine Tür im papierenen Windschirm hinausbefördert. Rotes Licht flackert auf, und wenig später verstauen die beiden jungen Frauen eine schwarze Urne und die letzten Habseligkeiten der sukzessive Eingeäscherten samt Foto in einem Schrank.

Die junge Generation übernimmt

Als könnten sie in diesem von orange-vergilbtem Herbstlicht überblendeten Vorhof des Todes ihr Ende dadurch aufschieben, teilen sich Hans Dieter Knebel, Branko Samarovski und Martin Schwab Handkes Text, ehe sie „abserviert“ werden. Doch da unterbricht Plüss Samarovski, als er einem kleinen, vor ihm knieenden Jungen Kriegsgeschichten des Großvaters erzählt. „Dunkelmänner!“, schimpft sie, „Schläger und Erschlagene!“ Sie hebt die Arme, womit für einen Augenblick klares Licht die Bühne erhellt und die Pastellfarben der wie aus der Zeit gefallenen Kostüme (Marlen Duken) aufleuchten lässt: „Lichtzwang!“, ruft sie metaphorisch.

Indem Süßkow Handkes Text gleichsam auch von den Enkelinnen sprechen lässt, die den Sermon der Alten stetig unterbrechen, offenbart sie die problematische Kriegsgeschichte des gewalttätigen Großvaters als transgenerational weitergegebenes Kriegstrauma, das selbst noch die Enkel zum seelenerkalteten Überwa-chungspersonal in choreografiertem Gleichschritt deformiert. Wenn am Ende Martin Schwab bellend, miauend und wie ein Baby greinend auf dem Rücken liegt, um schließlich bei einer gespens-tischen Stehparty mit Dichterkranz aufgebahrt zu werden, entgleist die Szenerie vollends zu einer makabren Séance.

Sprachlicher Leerlauf

Viel zu wenig kann Süßkow innersprachlich mit dem interpretationsoffenen, rätselhaft schwebenden Theatertext Handkes anfangen, der in diesem allzu eindeutigen Szenario seine assoziationsreiche Leichtigkeit verliert. Die surreale Szenerie verdeckt die Kraft von Handkes Realismus, entsprungen seiner Poesie, die hier aus der kritischen Geschichtsbetrachtung heraus Gegenwart neu erzählt. Holprig, ohne die Feinheiten oder den Klang der Sprache zu vermitteln, schaffen es weder Plüss noch Riegner Handkes theatralische Poesie gedanklich zu durchdringen und lebendig werden zu lassen. Allein im Zusammenspiel der drei alten Schauspieler – begleitet vom permanenten Vorecho der tapferen Souffleuse Berngard Knoll – entsteht zumindest für Momente die Idee, wie Handkes Text Theater hätte werden können, anstatt fast zwei Stunden lang ins Leere zu spielen: im lebendigen Erzählen, das Imaginationsräume auftut.