Foto: Julia Enriquez, Ekis Gimenez und Meann Espinosa kümmern sich um Susi Wirth. © Silke Winkler
Text:Gunnar Decker, am 11. Oktober 2025
Das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin bringt mit der Koproduktion „Nobody is home“ von Liza Magtoto das Problem einer immer älter werdenden Gesellschaft auf die Bühne. Im Mittelpunkt des Stücks steht eine an Demenz erkrankte ältere Dame, die von drei philippinischen Fachpflegekräften betreut wird. Ein Theaterabend, der philippinische und deutsche Lebensrealitäten nebeneinander stellt. Ob das aufgeht?
Wir leben in einer überalterten Gesellschaft, Tendenz steigend. Die Alten aber sind zumeist irgendwann pflegebedürftig. Wer kümmert sich um all jene, die nicht mehr allein leben können?
„Nobody is home“ entstand als Koproduktion der Philippine Educational Theater Association in Manila mit dem Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin. Vor der Premiere hier liefen bereits mehrere Vorstellungen in Manila. Diese Stückentwicklung zum Thema Alter und Pflege fand in Manila einen ganz anderen Background als hier in Schwerin – und das ist vielleicht das Interessanteste an „Nobody is home“, diesem interkulturellen Gemeinschaftsprojekt der beiden Regisseurinnen J-mee Katanyag und Nina Gühlstorff. Gespielt wird in englischer, deutscher und tagalogischer Sprache mit deutschen Übertiteln.
Das Problem der Pflege
Sehr verschiedene Facetten des Themas werden sichtbar. Zum einen die sozioökonomische: Eine Million Filipinos arbeiten im Ausland. Auf der ganzen Welt machen sie dabei ihre oft wenig guten Erfahrungen. Am schlimmsten scheint es in Saudi-Arabien, wo die ins Land geholten Menschen unter untragbaren Arbeitsbedingungen schuften und leben müssen. Und wie ist es in Deutschland? Ein Werbefilm zu Beginn (Video: Bene Manaois) preist Schwerin als einen idyllischen Ort, in dem mehrere Pflegeheime dringend Personal suchen. Der Clip ist von jener poppig-kitschigen Art, bei der man nicht weiß, ob sie ironisch gemeint ist oder nicht. Man wirbt mit einem philippinischen Nationalhelden, der sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland das Rüstzeug für seinen Erfolg zu Hause holte. Ganz schön lange her.
Und wen sucht man hier heute? Pflegefachpersonal mit Deutschkenntnissen. Finanziell ist das attraktiv, denn diese können hier zehn- oder sogar 20-mal so viel verdienen wie auf den Philippinen. Und so kommen sie wie in Geschenkpaketen an. Kartons, die auf Paletten hereingerollt werden: drei Pflegefachkräfte aus Manila entsteigen ihnen. Der erste Eindruck: Sie sind so unpassend gut gelaunt – lachen, tanzen, singen und telefonieren. Währenddessen funktionieren sie die triste Schweriner Pflegestation, deren Fotos im Hintergrund den Ernst des Themas bezeugen, sofort zu einem vitalen Begegnungszentrum zwischen den Generationen und Nationen um. Zwei Frauen und ein Mann sind es (Julia Enriquez, Meann Espinosa, Rizal Ekis Gimenez), die auf eine völlig überlastete Pflegeleiterin treffen.
Die Behandlung von Demenz
Auf den Philippinen gibt es kaum Demenzkranke. Das liegt daran, dass man hier früher stirbt. Und wer alt wird, der lebt weiter in seiner Familie bis zum Ende. Pflegeheime gibt es nur wenige. Der Familienzusammenhalt ist groß. Hier muss einer für den anderen einstehen, auch finanziell. Rettende Solidarität der Gemeinschaft oder schlicht ein nicht funktionierendes Sozialsystem? Nebenbei hören wir Sätze wie diesen, die wenig Hoffnung machen: „Was trendet bei Tiktok?“
Augenfällig an „Nobody is home“ scheint der Unterschied der Mentalitäten, der nun durch die Neuankömmlinge auf der Pflegestation herrscht. Geduldig und bei aller Belastung heiter sind sie jederzeit ein starker Kontrast zur angestrengten, ja verbissenen Art ihrer deutschen Kollegen. Nur eine Heimbewohnerin (keine Patientin!) repräsentiert die Pflegebedürftigen (Susi Wirth). Sie ist alt und dement und wird von ihrer gestressten Tochter (Ute Baggeröhr) gebracht, die reichlich hysterisch wirkt. Sie macht den philippinischen Pflegekräften teils übertrieben korrekt (auf Englisch, obwohl sie Deutsch können), teils beleidigend und drastisch klar, was sie in einem deutschen Pflegeheim keinesfalls zu dulden gedenkt.

Die Tochter ist unhöflich gegenüber dem Pflegepersonal. Foto: Silke Winkler
Die Demenz hat viele Gesichter. Man erlebt sehr seltsame Dinge, wenn man bereit ist, sich auf den Verfall eines Geistes einzulassen, der doch immer wieder seltsame neue Blüten treibt. Schwache Charaktere sind Demente keinesfalls. Man betritt an ihrer Seite einen surrealen Raum. Streitet man dann nur noch über absurde Dinge? Man kann sich auch mit seiner kranken Mutter oder dem Vater auf eine gemeinsame Märchenreise begeben und dabei unerwartete Entdeckungen machen.
Diese Möglichkeit wird hier durchaus angedeutet, aber dann schnell unter einem allzu dominanten didaktischen Anspruch, unter dem der Abend leidet, wieder begraben. Ja, es herrscht unverantwortlicher Mangel in sozialen (wie auch kulturellen) Bereichen. Und den verantwortet die Politik. Aber mit einem hier naheliegenden Blick auf die Philippinen wissen wir auch, dass wir immer noch auf hohem Niveau klagen.
Ein Unglückliches Ende
Ist es ein Clash der Kulturen, dem wir an diesem Abend beiwohnen? Eher nicht. Menschliche Zuwendung in den Grenzen unseres Pflegesystems ist eine Frage der Zeit. Von der hat in diesem Lande niemand zu viel von denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Das merken die Neuankömmlinge sehr schnell. Dann bekommt Kai, die philippinische Pflegerin, die Nachricht, dass ihr Sohn zuhause verunglückt ist und im Krankenhaus liegt. Soll sie nun zu ihm fahren, alle Brücken in Schwerin abbrechen?
Jetzt ufert das Unfertige dieser Stückentwicklung dann doch allzu sehr aus, etwa als die Zuschauer aufgefordert werden, sich per eingeblendetem QR-Code einzuloggen und live an einer Umfrage teilzunehmen. Der Schluss soll dann ein Statement sein. Alle Beteiligten liegen aus Protest gegen die herrschenden Verhältnisse gemeinsam auf dem Boden. Ein weltweiter Streik von denen, die im Care-Bereich tätig sind, ohne dass dies ausreichend gewürdigt wird.
Elektrische Teelichter werden verteilt, die Zuschauer sollen sie in die Höhe halten. Das ist dann leider der sentimentale Schlusspunkt einer Inszenierung, die sich um neue Facetten eines alten Themas, dem Altern in Würde, durchaus bemüht. Zumal in doppelter deutsch-philippinischer Perspektive.