Szene aus "Was ihr wollt"

Liebesleidenschaft zwischen Wahn und Glück

Bridget Breiner: Was ihr wollt

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:13.11.2021 (UA)Vorlage:Twelfth NightAutor(in) der Vorlage:William ShakespeareRegie:Bridget BreinerMusikalische Leitung:Rubén DubrovskyKomponist(in):Jean-Philippe Rameau u. a.

Die Bühne ist in schwarzdunklen Dämmer getaucht. Im zwiespältigen Licht der Rampe tanzen – wie siamesische Zwillinge aneinander gefügt und identisch kostümiert – zwei Menschen in vollkommen synchroner und verzaubernder Schritt-Harmonie zu einer Musette aus Jean-Philippe Rameaus Opernballett „Les Fetes d’Hébé“. Dann ein abrupter Szenen- und Lichtwechsel: Nun ist lärmendes Volk zu sehen, das sich unter einer schräg vom Bühnenhimmel herabhängenden, hell leuchtenden Lampion-Spirale versammelt und tänzerisch wirbelnd mit polternden Stühlen hantiert. Auch die Barock-Musik legt an Rasanz deutlich zu.

Am Badischen Staatstheater hat Bridget Breiners Handlungsballett „Was ihr wollt“ Premiere, eine Uraufführung nach Motiven der Komödie „Twelfth Night“ von William Shakespeare. Bloßer Tanz-Klamauk ist hier nicht gefragt: Vielmehr wollen auch Trauer und Melancholie, ja tragische Elemente im balletteusen Ablauf verarbeitet sein. Die wichtige psychologische Fundierung der handelnden Charaktere muss, musikalisch grundiert durch Melodie und Rhythmus, in Körpersprache verwandelt werden. Breiner hat diese Herausforderungen zusammen mit ihrer Karlsruher Compagnie, ihrem Ausstatter Jürgen Franz Kirner und Rubén Dubrovsky (für die kongeniale Zusammenstellung der Musik-Nummern und die musikalische Leitung) exzellent gemeistert.

Der beschriebene Auftakt stellt die Protagonisten, das Zwillingspaar Viola (getanzt von Francesca Berruto) und Sebastian (Pablo Octávio) vor, und präsentiert die Hofgesellschaften beim Herzog Orsino (Ledian Soto) und der Gräfin Olivia (Lucia Solari). Zunächst kommt freilich eine andere Shakespeare-Komödie zum Zug: „Der Sturm“ („The Tempest“) wütet musikalisch und mit Meereswogen. Zwischen den über die Bühne ausgespannten, kräftig geschüttelten, schäumende Gischt formenden Tuch-Bahnen treibt führungslos ein kleines Schiff mit sturmgeblähtem Segel, an dessen angebrochenem Mast sich besagte Zwillinge verzweifelt klammern. Fauchende Windmaschinen und donnerndes Theaterblech kommen zum Einsatz. Die beiden Schiffbrüchigen verlieren sich, immerhin gerettet, aus den Augen. Viola glaubt sogar, ihr Bruder sei gestorben.

Bridget Breiner, die die Vorlage ziemlich verändert hat, lässt es im ersten Akt ihres Balletts häufig stürmen und wogen. Liebestürme werden – in ausdrucksstarken Kontrasten – von ruhigen Tanz-Phasen abgelöst, die Liebesleid und Liebesglück bravourös zelebrieren. Da ist der Herzog, der die ihn beständig abweisende Gräfin mit Aplomb liebt und die als Cesario verkleidet auftretende Viola als Liebesbotin benutzt. Olivia selbst verliebt sich in diesen anmutigen Boten, an dessen Stelle schlussendlich der vom Kapitän Antonio (Louiz Rodrigues) gerettete, ebenso liebreizende Sebastian tritt. Olivias trunksüchtiger Onkel, Sir Toby (Olgert Collaku), bandelt mit dem Kammermädchen Maria (Balkiya Zhanburchinova) an. Die wiederum intrigiert zusammen mit Toby und Sir Andrew (Timoteo Mock) gegen Olivias Hofmeister Malvolio (Paul Calderone). Und mit allen treibt ein Hofnarr (Joao Miranda) sein köstlich burleskes Spiel. Irrungen und Wirren, Verkennung und Täuschung sind auch in dieser Inszenierung die Triebkräfte des Plots.

Gefeiertes Verwirrspiel

Die Shakespeare-Szene, in der Maria, assistiert von Toby und Andrew, dem eitlen, in Selbstüberschätzung befangenen Hofmeister einen fingierten Liebesbrief Olivias unterjubelt, gilt als Höhepunkt der Komödien-Literatur. Bei Breiner entwickelt sich die ziemlich gemeine Intrige zum tragikomischen Schmankerl des Abends. Während die drei Intriganten hinter beweglichen Büschen lauern und mit Häme Malvolio bei der umgehend wirkenden Brieflektüre beobachten, entfaltet dieser in seiner Rokoko-Eleganz ein irrwitziges Kabinettstück grotesker Gespreiztheit. Der Lackaffe vollführt im vermeintlichen Triumph über seine Rivalen abenteuerlich überdrehte Sprünge, vertrackte Verbiegungen und Drehungen. Er wagt sich im Liebeswahn sogar schmeichlerisch berührend an die bestürzt reagierende Gräfin heran, scheint im siebten Himmel des Glücks. Und gibt sich in seiner „gekreuzten“, grellgelben Strumpfmontur der Lächerlichkeit preis. In einem satanischen Hexen-Reigen, den eine wilde Horde mit ihm vollführt, endet Malvolio gedemütigt und menschlich gebrochen, auch äußerlich mitleiderregend zerzaust und abgerissen.

Zu den intensiven Momenten der Ballettaufführung zählen die von mehreren Paaren zum Abschluss des ersten Aktes ausgeführten Pas de deux‘, die (als Einspieler) John Denvers „Annie’s Song“ luftig schwebend vertanzen. Im zweiten Akt ist die absurde Duell-Szene mit Andrew und dem verdoppelten Sebastian-Viola-Cesario ein bemerkenswerter Hingucker. Aber auch Olivias skandalös schrille Anmache des Liebesboten, die sich zum handfesten Stalking ausweitet und sich für eine eben noch um ihren verstorbenen Bruder Trauernde überhaupt nicht schickt, ist mitreißend inszeniert. Das anrührende Aufeinandertreffen von Viola und Orsino im Ballett-Finale bietet szenisch fein ausgearbeiteten, brillanten Tanz. Nicht zu vergessen sind die zart-fröhlichen Ensembles der Stubenmädchen in ihren Schürzen-Kleidchen (Olivias Hofgesellschaft) und die in schwarze, hautenge Kunstleder-Outfits gekleideten, zackig-martialisch auftretenden Rocker-Banden (Orsinos Begleitung).

Für die Tanzimpulse sorgt Dubrovskys facettenreiche Klang-Collage, von der Badischen Staatskapelle meist im historisch barocken Stil hochmotiviert musiziert. Breiners abendfüllendes Tanzstück ist eine spannende Ballett-Erzählung – unter den einschränkenden Produktions-Bedingungen in Corona-Zeiten eine ganz besondere Leistung.