Drei Personen stehen mit Sonnenbrillen zusammen und schauen erstaunt auf eine Diskokugel, die von einer Angel vor ihren Gesichtern baumelt.

Über Raumgrenzen hinweg

Kurt Weill: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Theater:Deutsche Oper Berlin, Premiere:17.07.2025Regie:Benedikt von PeterMusikalische Leitung: Stefan KlingeleKomponist(in):Kurt Weill

Regisseur Benedikt von Peter inszeniert an der Deutschen Oper Berlin Kurt Weills Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Dabei holt er das Publikum ganz nah heran und bindet es in das Geschehen ein. Ob sich der große Aufwand, den die Inszenierung zum Ende der Intendanz von Dietmar Schwarz betreibt, künstlerisch auszahlt, bleibt allerdings fraglich.

Willkommen in Mahagonny! Dunkel ist’s im Foyer der Deutschen Oper Berlin. Die Fenster verklebt, die Tische hochgestellt. Dazu wummert undeutlich eine Klangkulisse. Überall hängt Absperrband. Während man sich noch im Halbdunkel orientiert, bemerkt man im Publikum Gestalten in merkwürdig fragmentierten Kostümen, hier ein Kopfputz, da eine Rüsche. Rot leuchten über der mobilen Bar die Buchstaben OPEN. Vermeintliches Servicepersonal versucht, den Leuten aufgedreht Sekt für zehn Euro das Glas anzudrehen. Alles wirkt, als hätte man sich in einen Club verirrt, wenn die Party längst ihrem Ende entgegenstolpert. Das stimmt insofern, als „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ nach 13 Jahren die letzte szenische Premiere der Intendanz von Dietmar Schwarz ist. Ab Herbst übernimmt ein Interim, ab 2026/27 Aviel Cahn. Nur geht die 1930 uraufgeführte Oper von Kurt Weill und Bertolt Brecht hier erst noch los.

Mitten im Foyer

Man konnte das ahnen bei einem Regisseur wie Benedikt von Peter, der einst mit seiner Hannoveraner „Traviata“ Seh- und Hörgewohnheiten durcheinander wirbelte und an der Deutschen Oper den Chor bereits zweifach im Publikum platzierte, in „Aida“ und der „Matthäus-Passion“. Jetzt lösen sich alle Raumgrenzen auf. Und das hat seine Logik, schließlich gelten auch in der Stadt Mahagonny, gegründet, um Leuten mit vermeintlichen Vergnügungen das Geld aus der Tasche zu ziehen, keine Grenzen. Es sei denn, jemand begeht die Todsünde des Kapitalismus und hat kein Vermögen mehr.

Das ist Brechts Fabel, durchgespielt an Jim, der mit drei anderen Männern sein mühsam in Alaska erarbeitetes Geld in Mahagonny lässt, sich in die Prostituierte Jenny verliebt, in einer Hurrikan-Krise das entgrenzende Motto „Du darfst“ ausgibt und nach diesem Motto am Ende hingerichtet wird. Eine didaktische Geschichte, obwohl Brecht sprachlich alle Register zwischen Bibel und Song zieht, zusammengehalten von Weills so verstörend süffiger Musik, all den Ohrwürmern zwischen dem „Moon of Alabama“ und „Denn wie man sich bettet, so liegt man“.

Aber, erst mal steht man

Während das Publikum im Foyer die Handlung über Leinwände verfolgt, rauschen Solisten an einem vorbei, versuchen Chormitglieder und Statisten, einen mit (von Geraldine Arnold entworfenen) Kostümteilen zu behängen, Teil der Party-Hauptstadt zu werden. Irgendwann purzeln die Sektpreise. Wenn nicht gerade die Solisten neben einem stehen oder eine Choristin, hört man den Klang über Lautsprecher. Geht auch nicht anders, wenn die vier Alaska-Jungs sich zum Beispiel vor dem Haus auf den Treppen zur U-Bahn-Station versammeln.

Die Frage, ob man für Kino mit Stehplätzen und immersivem Gewimmel unbedingt in die Oper gehen muss, erübrigt sich vorerst im zweiten Teil. Da werden wir in den Saal geführt, dessen Reihen abgedeckt sind, und direkt auf die Bühne gelotst. Dort sitzt das Orchester, das nun nach hinten fährt. Erst überstehen wir hier den Hurrikan, dann geht’s mit den vier Jungs aus Alaska bergab. Das Publikum hockt auf Matratzen, die Darstellenden mühen sich mit wenigen Mitteln – eine Leiter, ein Tuch, ein paar Parkettstühle – um erzählerische Klarheit. Der Chor animiert uns zum Mitsingen.

Das Publikum sitzt inmitten von Schauspieler:innen. Im Vordergrund steht ein Darsteller auf einer Leiter.

Das Publikum erlebt die Oper hautnah mit und ist von ihr regelrecht umgeben. Foto: Thomas Aurin

Nur dass Chor und Statisten eben keine spielerischen Feinmotoriker sind, sondern in ihrem Erstaunen und Erschauern oft unfreiwillig komisch wirken. Und man auch hier die Geschichte am besten auf den Leinwänden mitbekommt, die an allen Seiten hängen. Für das Dilemma, dass nach der Party-Ablenkung des ersten dieser zweite Teil in seiner Katerstimmung etwas trocken und abhandelnd wirkt, findet von Peter keine Lösung. Beeindruckend ist es natürlich schon, wie einen der erweiterte Chor phonstark in den Klängen baden lässt, wie souverän Stefan Klingele das Orchester auf Härte, rhythmische Fahlheit, Jazzlässigkeit trimmt.

Publikumsproteste

Evelyn Herlitzius, deren Jahrhundertstimme auch im Verglimmen noch die Intendanz von Dietmar Schwarz mitprägte, verleiht ihrer Leokadja Begbick eine schöne Abgründigkeit. Nikolai Schukoffs Jim klingt zunächst etwas angestrengt, entwickelt dann aber gerade gegen Ende eine tenorale Dringlichkeit, die seine Verzweiflung greifbar macht. Annette Dasch braucht eine Weile, um vom Modus der Operndiva mit begrenzter Höhe auf einen sehr eigenen, leicht galligen Songton umzuschwenken. Wie kommt man da wieder raus nach pausenlosen zwei Stunden? Von Peter versucht es, indem er ins Chor-Medley des Finales die eigentlich auf Protestbannern vorgesehenen Forderungen hineinsprechen lässt, während Kinder mit leeren Demo-Schildern aufkreuzen und einzelne Menschen im Publikum dazu auffordern, sie zu beschriften. Da steht dann „Freiheit“ oder „Mehr ❤️“.

Insgesamt ist das alles ein riesiger Aufwand für ein stark reduziertes Publikum und nur fünf Vorstellungen – dann ist Schluss. Brecht und Weill hätten an dieser Verschwendung der Mittel in einem Stück über eine Welt, die nur nach den Gesetzen der Ökonomie funktioniert, vermutlich ihre Freude gehabt. Ein Publikum aber, das dem Werk ungekürzt, ohne elektronische Verstärkung und vom Parkett aus begegnen will, ist mit Barrie Koskys Version an der Komischen Oper besser bedient. Im Dezember wird sie wieder aufgenommen.