"Küste" am Staatstheater Mainz.

Krieg als Familientragödie

Wajdi Mouawad: Küste

Theater:Staatstheater Mainz, Premiere:19.02.2011Regie:André Rößler

Wilfried steckt gehörig in der Bredouille: In der aufregendsten Liebesnacht seines noch jungen Lebens erhält er die Nachricht vom Tod seines Vaters Ismail. Eigentlich kannte er ihn gar nicht richtig, da der Vater sein Kind früh verlassen hatte. Tot erweist sich der Alte (charmant-nervend: Marcus Mislin) jetzt als quicklebendig. Wilfried wird ihn nicht nur als Traumgestalt nicht mehr los, die Suche nach dem richtigen Ort für das Begräbnis wird zur Reise in den Libanon, der Heimat des Vaters. Begleitet wird Wilfried (Lorenz Klee gibt den zu dicken jungen Mann in spießig-beiger Hose und Karopulli agil-tänzelnd) von seinem Helden aus Kindertagen: der Ritter Guiromelant (Andrea Quirbach mit kindlich-tapferen Ton), der zur Artus-Runde gehört, steht ihm auch bei diesem Abenteuer immer hilfreich zur Seite.

Es wird eine Entdeckungsreise: in kurzen Videofilmen in Super-8-Anmutung wird die Liebesgeschichte der Eltern erzählt. Schließlich angekommen in der „alten Heimat“, findet sich zunächst kein Grabplatz für den Vater, da es zu viele Tote im ehemaligen Kriegsgebiet gibt. Doch Wilfried begegnet den Überlebenden, den traumatisierten Töchtern und Söhnen, hört deren Geschichten von Tod und Verlust und zieht mit ihnen weiter ans Meer. Regisseur André Rößler vermeidet Betroffenheitskitsch und Pathos und erfindet kleine psychische Ticks für die Figuren: eine Frau lässt Papierflieger steigen, ein junger Mann bricht in hysterische Lacher aus und ein Dritter rutscht immer kopfüber die Stange herunter. Mit Katharina Knaps Auftritt gelingt ein bedrückendes und zugleich äußerst poetisches Bild: Während über die ganze Bühne projizierte Namen flimmern, benennt Knap als Namenssammlerin die Toten. Und Wilfried, mit einem Blatt Papier vor dem Bauch, findet schließlich auch den des Vaters darunter. Derart dichte Momente sind leider selten, oft stehen die Spieler da und müssen Text abliefern.

Das liegt weniger an der gekonnten Regie als am 1997 geschriebenen, sehr frühen Text des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad. Krieg als Familientragödie – das überaus aktuelle Thema bleibt über weite Strecken seltsam distanziert.