"Heldenplatz" an den Münchner Kammerspielen

Konglomerat rechten Grauens

Falk Richter nach Thomas Bernhard: Heldenplatz

Theater:Münchner Kammerspiele, Premiere:04.12.2021Regie:Falk Richter

Früher gab es ja noch Theaterskandale. Uraufführungen, nach denen eine Stadt oder ein Land Kopf stand. Thomas Bernhards „Heldenplatz“ löste so einen Skandal aus, als es 1988 im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde. 50 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland war gerade Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt worden, ungeachtet seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen im Nationalsozialismus als Offizier der Wehrmacht. Die Diskussion um die braune Vergangenheit (und Gegenwart) Österreichs war also im vollen Gange, als Bernhard auf Anregung von Claus Peymann sein Stück zum Thema schrieb: „Heldenplatz“, benannt nach diesem monumentalen Platz in Wien, an dem nicht nur der Bundespräsident residiert, sondern auch die Massen Adolf Hitler zujubelten.

Reden über Österreich

Thomas Bernhards Stück spielt in der Wohnung des jüdischen Professors Josef Schuster, der sich am Jahrestag des Anschlusses 1988 aus dem Fenster stürzte, direkt auf den Heldenplatz. Er, der während der Nazi-Zeit nach England emigriert war, hörte das Nazi-Gebrüll nach seiner Rückkehr noch immer, fühlte sich von Antisemiten und Neonazis bedroht. „Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig“, sagt seine Tochter im Stück einmal. „Alles wird schlimm enden, dazu braucht es ja nicht einmal einen geschärften Verstand. Jetzt kommen sie wieder aus allen Löchern heraus, die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind.“ Das Stück nun ist wie eigentlich immer bei Bernhard ein Reden über Österreich – und eines über den Toten. Die Übriggebliebenen, von der Haushälterin bis zur Witwe, reden. Und reden. Wenn man das Stück heute liest, fühlt man mit Georg Hensel, der schrieb: „Was für ein Lärm um ein zum Steinerweichen langweiliges Stück!“ Seitenlange Monologe über das Putzen von Schuhen und das Zusammenlegen von Hemden, die nicht einmal fesseln, wenn sie eine so wunderbare Schauspielerin wie Annette Paulmann in der Rolle der Haushälterin spricht. Der Skandal, er ist lange her.

Verpuffte Relevanz

Dennoch widmet sich nun Falk Richter dem Stück an den Münchner Kammerspielen, fügt den drei Bernhardschen Akten einen eigenen hinzu und lässt Lion Bischof Video-Collagen aus historischen und aktuellen Nazi-Auftritten erstellen. Bischof schneidet Hitler und AfDler, Nazi-Aufmärsche und Anti-Corona-Demonstrationen, antisemitische Terrorakte, Franz Josef Strauß und den NSU zusammen zu einem Konglomerat des rechten Grauens. Dass die Realität nicht ein „Nie wieder“, sondern eher ein „Immer wieder“ ist; dass die Aufarbeitung rechter Gewalt nicht nur im Falle des NSU zu wünschen übrig lässt – all das lässt Richter in seinem Zwischenstück nochmal von Bernardo Arias Porras, Knut Berger und Anne Sophie Kapsner durchdeklinieren. Medienschelte inklusive. „Nichts haben sie bewältigt“, heißt es da. „Nicht die Vergangenheit und nicht die Gegenwart!“ Und: „Die Deutschen wurden nie befreit von den Nazis, die Deutschen waren die Nazis.“ Im Zuschauerraum sitzen zwischen dem corona-bedingt sehr ausgedünnten Publikum weiße Gipsköpfe, manch ein Gesicht zum wütenden Schrei gefroren. Bühnenbildner Wolfgang Menardi dehnt das Geschehen in den Zuschauerraum aus, der gewissermaßen selbst zum Heldenplatz wird. Eine Fortsetzung der Bühne, die mit lackroten und -schwarzen Vorhängen sofort an Hakenkreuze und Reichsparteitag-Inszenierungen denken lässt. Merke: Die Nazis sind mitten unter uns. Die Schuhberge auf dem Boden wecken Holocaust-Assoziationen, die Farben sind die des Nationalsozialismus. Das alles ist sehr groß. Vielleicht zu monumental, um wirken zu können. Denn bei Bernhard marschieren keine Nazis auf, er zeigt den Schatten des Großen auf die kleine Welt der Familie.

Leider ist der erhobene Zeigefinger irgendwie das Leitmotiv dieses Abends, das Geschehen auf der Bühne bleibt sehr weit weg. Ja, das alles ist wichtig und richtig. Das Thema ist relevant, die Anklage gerechtfertigt. Richters Wut auf die Kontinuität des Rechten in Deutschland wie in Österreich teilt man gerne. In dieser Inszenierung fehlt aber einiges. Bei Bernhards Texten sehnt man sich nach Aktualität, bei Richters nach Dramatik. Und ein bisschen auch nach einem Skandal.