Männerwünsche, Frauenempfindungen: Auf einer überdimensionierten Couch warten Schauspielerinnen (Ensemble) aufs Casting.

Kollektiv gegen Ungleichheit und Missbrauch

Christine Lang, Volker Lösch: House of Horror - Theater. Frauen. Macht.

Theater:Theater Bonn, Premiere:24.05.2019 (UA)Regie:Volker Lösch

Die Bühne von Julia Kurzweg wird beherrscht von einer riesigen Couch. Hier präsentieren sich anfangs Schauspieler und Schauspielerinnen einem cool-aggressiven Regisseur. Der Mann will eine wilde, exzessive Medea sehen, einen Gefühls-Tsunami, ein Monster und eine Rachegöttin. Wo ist die Erotik, fragt er anklagend die sich bewerbende junge Schauspielerin. Ein andermal mault er, statt eines Gretchens nur eine Kampflesbe gesehen zu haben. Männerwünsche, Frauenempfindungen: Wie geht das zusammen, fragt die Inszenierung in vielen, oft chorischen Szenen. Die Antwort lautet: Gut geht das eher selten.

Mit klugen Menschen alle acht Wochen was Neues zu machen und mit Theater die Welt zu verändern, das ist so eine Sehnsucht einer Schauspielabsolventin. Aber dann erleben wir in Vorspielszenen einen Regisseur, der im „Titus Andronicus“ mehr Testosteron und viel mehr krasse Bilder haben will, die selbstredend auch „weh tun“ sollen.
Die Lulu soll eine Sexgöttin sein, „da muss die Erotik fließen“, ungehemmt und gedankenlos. Steif wie ein Besen sei die Schauspielerin, schimpft der Regisseur, während der männliche Darsteller im „Titus Andronicus“ gelobt wird, weil er mit seiner Gewalttätigkeit Magie entfalte. Also lautet die Ansage: Wir starten mit der Huldigung von Titus Andronicus und dann machen wir mit der Vergewaltigung weiter. Wobei sich leider die Darstellerin der Vergewaltigten beschwert, dass die Darstellung der Vergewaltigungen ihr weh tun: „Ihr wollt Gewalt darstellen, tut mir aber selber Gewalt an.“ Und sofort bieten sich Kolleginnen an, die Rolle zu übernehmen!

Wo sind die guten Rollen, fragen die Frauen und protestieren gegen die von Männern geschriebenen Frauenrollen mit all den Leidenden wie Lulu, Emilia Galotti, Gretchen und Medea. Fakten werden eingestreut: Im Bonner Theater wurden zuletzt 22 Stücke von Autoren und 3 von Autorinnen gespielt, inszeniert wurden die Texte zu 70% von Männern. Frauen im mittleren Alter müssen immer diese alten, lustig-komischen Alten spielen, wird im Chor geklagt, und ein Chor von „engagierten Alltagsfrauen“ berichtet, dass sie keine Jobs erhielten, wenn sie nicht grundsätzlich ausschlössen, mal Kinder zu bekommen.

Volker Lösch und Christine Lang wechseln in ihrem Text zwischen Szenen aus der Theaterwelt und der Alltagswelt misshandelter und engagierter Frauen. Ein Chor von Frauen aus Bonn erzählt von alltäglicher Übergriffigkeit von Männern und von deren (sexuellem) Machtmissbrauch. Es gibt Berichte über die Bonner Frauenhäuser und das Frauenmuseum, das mit Zuschusskürzungen zu kämpfen hat. Der Wechsel zwischen den Szenen aus der Theaterwelt und Berichten aus dem Alltagsleben von Frauen besitzt eine beeindruckende Dynamik, auch wenn das Gruppenmarschieren an die Rampe und das Herumkrabbeln auf der Couch sich als Stilmittel bald abnutzt. Doch die Fülle der Fakten und Anspielungen, so über Wahlrecht und Feminismus, ist beeindruckend. Dabei ist das Fazit eindeutig: Das Theater nimmt für sich in Anspruch, gesellschaftskritisch zu sein. Doch hinter der Bühne herrscht die gleiche Ungleichheit wie in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Im letzten, weniger überzeugenden Teil mit dem Titel „House of Horror“, rutschen zwei Schauspielerinnen unter die Bühne. Hier erleben sie in filmischen Szenarien eine Sexszene aus dem letzten Tango in Paris, deutsche übergriffige Intendanten und Regisseure, aber auch Brecht und seine Frauen, die erste DaDa-Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhofen, Bernardo Bertolucci, Catherine Deneuve, Olympe de Gouges und Elisabeth Hauptmann. Sie alle rumoren als Zeitgeister unter der Bühne, bis sie in einer großen Aktion mit Seilen wieder an die Oberfläche geholt werden.

Trotz einiger Durchhänger entsteht insgesamt eine konzeptionell und szenisch beeindruckende Inszenierung, die zu Recht vom Publikum mit langem Beifall bedacht wurde.