Grundverschiedene Vorlagen
„Fegefeuer“ ist eine geradezu archaische Parabel von der zu jungen Mutter, während „Pioniere“ in einer feinziselierten Beziehungsstudie herausarbeitet, wie sich Gewalt in das Liebesleben einschleicht. Tatsächlich sind die Stücke sowohl sprachlich als auch atmosphärisch sehr verschieden. Im Lauf der Inszenierung wird das zunehmend zu einem Problem: Regisseur van Hove muss viele Handlungsstränge und Beziehungsgeflechte in knappen Szenen unterbringen, das lässt den Schauspielerinnen und Schauspielern wenig Zeit und Raum, um ihre Konflikte darzulegen und auszuleben. Offensichtlich geht es van Hove weniger um das Innenleben der Figuren als vielmehr um das eindrucksvolle Zurschaustellen schier unerträglicher Situationen. Besonders drastisch ist etwa eine Waterboarding-Szene, bei der die Soldaten ihren Frust über die Schinderei des Feldwebels an einem Zivilisten auslassen, der Unglückliche wird wieder und wieder untergetaucht. Gegen Ende der Inszenierung kommt es auch noch zu einer Unterwasser-Vergewaltigung, zu sehen ist eine wilde Rangelei zwischen der halb entblößten Lilith Häßle und Maximilian Pulst, bei der auch Pulst ordentlich Dresche kassiert.
Rohheit und Entfremdung
Die diversen Kampfhandlungen im, am und unter Wasser sind spektakulär, aber auch etwas inflationär. Jede und jeder muss mindestens einmal Wasser schlucken, keiner kommt hier trocken raus. Trotz aller Bemühungen gelingt dem Ensemble kein rundweg überzeugendes Körpertheater. Auch die chorischen Szenen wirken abgegriffen: Fast immer wird dabei kräftig im Wasser gestampft und lauthals gebrüllt, dabei ist es schon egal, ob nun ein Vaterunser heruntergebetet oder ein deutsches Volkslied zum Besten gegeben wird, grob bleibt es allemal.
Fleißers großes Thema, die Rohheit und Entfremdung zwischen den Geschlechtern, hat bedauerlicherweise wenig an Gültigkeit verloren. Ivo van Hoves „Ingolstadt“-Inszenierung hangelt sich jedoch zu plan entlang sattsam bekannter Klischees toxischer Männlichkeit.