Foto: Kämpfen ums Überleben: die drei Schiffbrüchigen (Caspar Sawade, Klaus Beyer, David Thomas Pawlak) © Pawel Sosnowski
Text:Ute Grundmann, am 17. Februar 2019
Schäbig sieht es aus, wenn man auf dem letzten Loch pfeift. Am Mast mit dem Nebenhorn trocknet Wäsche, in Bottichen und Wannen werden die wenigen Regentropfen gesammelt. Die Bewohner auf den schiefen Planken sehen kaum besser aus: Frack zu langer Unterhose, Smokinghose und T-Shirt; ein heruntergekommenes Musikertrio. Doch all das tritt in den Hintergrund, als die Vorräte ausgehen und die Frage im Raum steht: Was essen wir als nächstes – oder wen? Darum dreht sich die nur scheinbar heitere Farce „Auf hoher See“ von Slawomir Mrożek, die der polnische Regisseur Grzegorz Stosz eindrucksvoll am Gerhart Hauptmann-Theater Zittau inszeniert hat.
Für die Aufführung geht es „hinter den Vorhang“, auf einen kleinen Teil der großen Bühne, wo David Marek das schön-schäbige Ambiente der drei Schiffbrüchigen eingerichtet hat. Die tragen bei Mrożek keine individuellen Namen, sondern heißen „Der dicke Schiffbrüchige“ (Caspar Sawade, im Hauptberuf Kaufmännischer Leiter und Geschäftsführer des Gerhart Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau), „Der mittlere Schiffbrüchige (Klaus Beyer) und „Der schmächtige Schiffbrüchige“ (David Thomas Pawlak). Als deren Hunger unerträglich wird und die Frage des Kannibalismus immer stärker über die Planken schwebt, versuchen sie es zunächst mit Appellen an den Kameradschaftsgeist, die gute Erziehung. Schnell ist das Wort „Egoist“ im Spiel, in dem sich der Mittlere zum Wortführer aufschwingt und die Planken wackeln lässt.
Grzegorz Stosz inszeniert das mit scheinbar leichter Hand, aber großer Ernsthaftigkeit. Als der Mittlere mal wieder große Tiraden schwingt, schiebt der Dicke trocken ein „Führer, befiehl!“ hinterher. Dann versuchen es die Schiffbrüchigen mit Demokratie, da wird ein Plakat mit dem Totschlagargument „Wir wollen ESSEN“ hochgehalten, finden sich nach der Abstimmung vier Stimmzettel (aus alten Liebesbriefen) in der Zylinderurne. Die drei Darsteller gehen vielschichtig und differenziert mit ihren Figuren um und mit viel Spielfreude, auch wenn ihnen dafür nur 65 Minuten bleiben.
Grzegorz Stosz inszeniert geradlinig und lässt die Frage nach dem, was Menschen einander antun, um zu überleben, immer im Raum stehen. Und er bricht Mrożeks Parabel mehrfach auf, indem er die Bühnenszene aus- und Filme einblendet, in denen die drei Protagonisten im bürgerlichen Anzug und Ambiente mit den Fingern Torte schlecken und das gerade Gesagte wiederholen: Nicht allein eine verzweifelte Situation bringt Menschen zu so einer „Lösung“. Zweimal greift Mrożek zum Deus-ex-Machina-Effekt: Da schwimmt ein Depeschenbote heran (im altmodischen Schwimmanzug mit „Deutsche Post“-Aufschrift) und bringt die Nachricht, dass die Mutter des Schmächtigen verstorben ist. Der ist damit, wie die anderen, eine Waise, die nicht geopfert werden darf. Dann taucht noch ein Lakai auf (beide Figuren: Uwe Körner) und entlarvt den Mittleren, der sich als armer Schlucker ausgegeben hat, als „Herr Graf“ – gegen den die Messer gewetzt werden dürfen.
Das ist so ansehnlich wie nachdenklich machend. Das doppelbödige Ende sei hier nicht verraten, nur soviel: Es ist so punktgenau wie perfide.