Foto: Ensembleszene © Patrick Pfeiffer
Text:Manfred Jahnke, am 8. Dezember 2017
Christine Gnann inszeniert die Uraufführung von Ulrike Grotes „Die Kirche bleibt im Dorf“ in Esslingen.
Erst war der Film, dann gab es eine Fernsehserie und noch einen Film. Und nun das Theaterstück zum Film. Die Esslinger Dramaturgie, immer auf der Suche nach Stoffen aus der Region, konnte nicht vorbei an dieser Geschichte von zwei Dörfern, die seit 1588 miteinander verfeindet und doch durch viele Romeo-und-Julia-Geschichten miteinander tragisch verbunden sind. Und nun kommen Leute von außen, ein Amerikaner und sein Adjunkt Dieter (Christian A. Koch), in das Dorf, wollen die gemeinsam genutzte Kirche aufkaufen, weil sie darin einen ganz anderen Schatz erwarten, was die Konflikte zwischen Häberle, dem Bürgermeister, von Reinhold Ohngemach wunderbar bodenstämmig ausgespielt, und Elisabeth verschärft, die Widersacherin aus dem anderen Dorf, eine Bäuerin, die Schweine züchtet und am Ende beschämt klein beigibt. Sabine Bräuning changiert in ihrer Rolle zwischen laut und leise, eine verletzte Frau, die nach außen eine harte Schale zeigt, sich aber nach Leben sehnt.
Die Geschichte spielt in Schwaben. Film, Fernsehserie und Theaterstück heißen „Die Kirche bleibt im Dorf“, die Autorin Ulrike Grote. Wenn es um Schwaben geht, dann wird es zum atemberaubenden Spiel mit Klischees, wo man am Ende nicht weiß, ob die Ironie diese Klischees bricht oder am Ende nicht doch diese nur bestätigt werden. Oder, wie der Amerikaner Howard (Frank Ehrhardt) so schön über den Klang des Schwäbischen sagt: „Sounds Scottish to me.“ Und es geht um Brutteln, Liebe und Gier nach Geld, auch ein wenig um den schwäbischen Größenwahnsinn. In der Fassung von Matthias Göttfert entschlacken Christine Gnann (Regie) und Stephanie Serles (Dramaturgie) das Drehbuch des Films und verwandeln ihn darüber hinaus in ein kleines Musical. Durchaus geschickt wird dabei auf schwäbische Rockmusik der Gruppe Schwoißfuaß zurückgegriffen. Mit Posaune, Schlagzeug, E-Gitarre, E-Bass, ergänzt noch durch das Ensemble – Sofie Alice Miller Saxophon und Sabine Bräuning Akkordeon – klingen zwar durchaus auch volkmusikhafte Töne im Sound durch (Musik: Oliver Krämer), die schwäbisches Bauerntheater so grundsätzlich begleiten wie Schweinsbraten und Bier, aber sie werden aufgesogen in einem schrägen Rock, der gekonnt „Are you lonesome tonight“ ins Schwabenland integriert.
Weil es unmöglich ist, den Naturalismus des Films mit seinen Weinberglandschaften auf der Bühne zu kopieren, hat Judith Philipp ein Bühnenbild geschaffen, dass angedeutet – die umstrittene Kapelle z.B, wird nur durch gelbe Stäbe markiert – alle Spielorte simultan nebeneinander gestellt. Während die Kapelle am Ende einer Schräge steht, dominiert auf der linken Seite eine Art Schuppen, der multifunktional angespielt wird: mal ist er das Haus der Elisabeth, aber meist Musikstadel und damit auch das Wirtshaus von Häberle, dem Bürgermeister. Und dann ist noch das ominöse Loch, das mitten auf den Weg klafft, über das die beiden Dörfer ebenso verkracht sind und keiner es in Ordnung bringt – und schon von tragischer Bedeutung ist. In der Inszenierung von Gnann ist im Loch ein Trampolin, man hüpft hinein und wieder hinaus, das macht Spaß, aber in ernsten Situationen, wenn z.B. Häberle unter seinem Traktor zu liegen kommt, kippt dieser trotz der Spielrequisiten – der Traktor ist nichts anderes als eine Stange mit Lenkrad – in starken emotionalen Ausdruck um.
Das ist überhaupt eine Stärke dieser Aufführung: Das Bühnenbild gibt den Schauspielern die Möglichkeit, sich auf einer Spielwiese auszutoben. Und sie nutzen es, sie spielen wie Kinder, unterstützt noch durch groteske Perücken und körperliche Deformierungen. Sie verwandeln dabei ihre Requisiten, lassen die Poesie märchenhafter Liebe aufscheinen. Nein, das Ensemble ist großartig. Und da auch das Spieltempo hoch ist (der Film schien mir ein wenig behäbig im Duktus), werden alle mitgerissen. Dabei enthalten für Elif Veyisoglu als Maria, Sofie Alice Miller als Christine und Nina Mohr als Klara – die drei Töchter des Häberle – ihre Rollen ganz schöne Klippen: Sie müssen sich an den im Film von Natalie Wörner, Karoline Eichhorn und Julia Nachtmann geschaffenen Rollenbildern abarbeiten. Sie tun das überzeugend, wobei die Miller dabei herausragt, weil sie es schafft, einerseits das Rollenklischee zu erfüllen und es doch geich wieder zu brechen. Ansonsten greift Gnann zu klaren Typisierungen. Sei es der versoffene Pfarrer von Peter Kaghanovitch, seien es die Söhne der Elisabeth, der Karl von Felix Jeiter und der Peter von Tobias Strobel, der kifft und irgendwie gar nicht in diese dörfliche Welt zu passen scheint, bzw. auf seine Art versucht, die Welt ins Dorf zu holen. Da kann man Klara verstehen, dass sie in ihn verknallt ist. So, wie Christine die Welt nach Schwaben holt, als sie ihren Amerikaner angelt. Da ist schon eine Sehnsucht bei den Schwaben. Und bei aller Unterhaltung erzählt diese Aufführung viel von dieser Sehnsucht und vom Auseinanderdriften von Jung und Alt. Ach ja, am Ende bleibt die Kirche im Dorf und auch der Schatz, mit dem Keiner im Dorf etwas anfangen kann. Aber dafür haben sich am Ende Häberle und Elisabeth versöhnt und es gibt drei Liebespaare.