Hinter den Kulissen des Showbusiness
Genau dort erlebte Jule Stynes Musical „Gypsy“ 1959 seine Uraufführung. Die Story, die auf die Memoiren der historischen Gypsy Rose Lee zurückgeht, und aus denen Arthur Laurents das Buch zur Show und Stephen Sondheim die Songtexte beigesteuert hat, ist ein ernüchternder Blick hinter die Kulissen des Showbusiness. Er setzt aber auch „Ein-Frau-Theatermaschienen“, wie die Regisseurin Louisa Proske Rose nennt und in Szene setzt, ein Denkmal. Ohne den menschlichen Preis zu verschweigen, den das für sie selbst und vor allem für ihre beiden Töchter hat. Dabei ist die Bühnen-Rose wohl noch die milde Variante ihres originalen Vorbildes. Es reicht aber auch so. Man möchte schon der auf Kinderstar getrimmten June, ihrer Schwester Louise und auch ihrem Dauerheiratskandidaten Herbie zurufen: rette sich, wer kann. Lieblingstochter June gelingt das tatsächlich. Sie brennt einfach mit dem Stepptänzer durch, obwohl es vorher so aussah, das er und Luise sich näher kommen würden. Aber eine unerwartete Wendung muss es halt auch in einer alsbald ziemlich vorhersehbaren Geschichte geben.
Eingespieltes Team
„Gypsy“ ist nicht nur eine Reflexion darüber, was es im Theater an Leidenschaft einzelner und am Willen, daraus etwas Ganzes zu machen, braucht. Es ist selbst ein Beispiel dafür. Die Story mag angesichts des Gruselkabinettes, das Dealmaker Donald Trump gerade castet, wie ein etwas gemütlicher, leicht angestaubter Ausflug in die Geschichte eines klischeehaften US-Selbstverständnisses wirken. Abgesehen davon ist die Art, wie sie das auf der Bühne und im Graben machen, gekonnt souverän! Als Gäste engagierte Musicalprofis, Haller Ensembles und nicht zuletzt der Darstellernachwuchs von Kinder- und Jugendchor und der Ballettakademie. Allen bereiten Yonatan Cohen und die Staatskapelle den musikalischen roten Teppich mit Jule Stynes perfekt gebauter Musik, die gerade im zweiten Teil auch rhythmisch, jazzig Originelles bietet.
Brillante Besetzung
Auf der Bühne deutet Ausstatter Darko Petrovic die tristen 20er- und 30er -Jahre-Verhältnisse mit ein paar Küchenversatzstücken sparsam an. Platziert hinter den Kulisse der Bühnen, in deren Scheinwerferlicht man unbedingt entkommen will. Im ersten Teil, bis zum Verschwinden der von Rose favorisierten June, hat man das schon bald verstanden. Wobei die Ironie der Show vorm Sternenbanner so dezent bleibt, als wollte sie nicht als solche erkannt werden. Aber sei’s drum, als Kinderstar ist Sandra Möbes atemberaubend. Das dressierte Kind kann man kaum authentischer liefern! Charlotte Vogel übernimmt diese Rolle dann bruchlos als erwachsene, sich emanzipierende June. Laura Magdalena Goblirsch nutzt souverän ihre Chance, sich von der grauen Maus Louise zum Revuestar Gypsy Rose Lee zu wandeln und sich zum Mittelpunkt der Glamourshow im zweiten Teil zu entwickeln.
Ein Vorzug dieser Produktion ist, dass nicht nur die Schauspielerinnen und Schauspieler mit den gesprochenen Passagen punkten, sondern sich auch alle anderen ohne Peinlichkeit in ihre Dialoge stürzen. Gerd Vogel bewährt sich als Herbie an Roses Seite wieder einmal als Sängerdarsteller von Rang. Das Kraftzentrum des Abends freilich ist die musicalerfahrene Schweizerin Brigitte Oelke in der Rolle der Mama Rose. Die verschlägt einem mit ihrer rigorosen Präsenz schlichtweg den Atem. Ihr gelingt es gleichwohl, ihre Rose auf rabiatem Egotrip nicht völlig bloßzustellen und ihr einen Rest von Mitgefühl zu sichern. Bei ihrem letzten großen Auftritt bricht die Tragik ihres Lebens aus ihr heraus. Da applaudiert nicht nur ihre zum Star aufgestiegene Tochter, sondern völlig zurecht auch der Saal ausgiebig. So wie dann beim Schlussapplaus für alle.