Im Vordergrund sitzt der Opernchor und unterhält sich angeregt. Im Hintergrund steht Henry Meyer und blickt über das Geschehen.

Vom Kaffeehaus in die Katastrophe

Józef Koffler, Johannes Schöllhorn: Alles durch M. O. W. – Die Liebe

Theater:Theater Freiburg, Premiere:28.06.2025 (UA)Regie:Peter CarpMusikalische Leitung:Friederike ScheunchenKomponist(in):Józef Koffler, Johannes Schöllhorn

Peter Carp bringt das Stück „Alles durch M. O. W. – Die Liebe“ am Theater Freiburg zur Uraufführung. Dabei wurde das verschollene Werk Józef Kofflers „Alles durch M. O. W.“ von Johannes Schöllhorn mithilfe eines erhaltenen Klavierauszugs erneut zum Leben erweckt und zusätzlich durch Texte von Autorin Debora Vogel ergänzt. Ob das aufgeht?

Das Kaffeehaus ist noch leer. Ein prächtiger Kronleuchter dominiert das gediegene Interieur. Der Kellner wischt nochmal über die Anrichte. Zwei Gäste betreten den Raum und nehmen an getrennten Tischen Platz. „Die Straßen sind wie das Meer und spiegeln die Farbe der Sehnsucht und die Schwere des Wartens“, rezitiert Henry Meyer als „Der zartbesaitete Herr“, während „Das Girl mit den geistigen Ansprüchen“ (Charlotte Will) teilnahmslos ins Leere starrt. Dann erst beginnt die tastende, filigrane Musik aus dem Orchestergraben.

Musikalische Neuauflage

Friederike Scheunchen dirigiert „Spur (Für Józef Koffler)“ des Freiburger Kompositionsprofessors Johannes Schöllhorn mit Liebe zum Detail. Die insgesamt 19 Variationen über Kofflers Opus 23, seine atonale Variationen von Johann Strauss’ „Kaiserwalzer“, werden immer wieder unterbrochen durch weitere Texte der jüdischen Autorin Debora Vogel (1900-1942), die wie in „Ballade von der schlechten Liebe“ von enttäuschten Hoffnungen erzählen (Deutsch von Anna Maja Misiak).

Thematisch passt diese Introduktion gut zum Hauptwerk des Abends, dem 1932 in Lemberg komponierten Bühnenwerk „Alles durch M. O. W.“ des jüdischen Komponisten Józef Koffler (1896-1944), in dem es um eine Partnervermittlungsagentur geht. Johannes Schöllhorn hatte schon vor vielen Jahren den Klavierauszug beim Verlag Universal Edition entdeckt, die Partitur des Werkes ist verschollen. Nun hat Schöllhorn für das Freiburger Theater eine farbige Instrumentation erstellt, die an diesem Abend vom Freiburger Philharmonischen Orchester uraufgeführt wird.

Werk mit Vorspann

Der scheidende Intendant Peter Carp musste sich für seine letzte Regiearbeit am Freiburger Theater überlegen, wie man das rund 50-minütige „Spiel für Tanz, zwei Solostimmen und gemischten Chor in einem Aufzug (Libretto: Alfred Rust)“ zu einer abendfüllenden Produktion erweitert. Józef Koffler und Debora Vogel haben beide zur gleichen Zeit in Freiburgs Partnerstadt Lemberg gelebt. Beide wurden vor Kriegsende von den Nazis ermordet. Dramaturgisch funktioniert der lange Vorspann zum Hauptwerk aber trotzdem nicht, weil sich im Kaffeehaus (Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüme: Su Bühler) keine Spannung aufbaut und der ständige Wechsel von Text und Musik – auch Józef Kofflers „Die Liebe“ I und IV op. 14 ist in Triobesetzung zu hören (Mezzosopran: Yewon Kim) – das Fragmentarische noch betont, anstatt größere Bögen zu spannen.

Mit dem Beginn von „Alles durch M. O. W.“ betritt der Chor die Bühne (Einstudierung: Norbert Kleinschmidt), der mit komplexen homophonen Chorsätzen die sich im Kaffeehaus anbahnenden Beziehungen ironisiert. Drei Paare suchen das Glück und geben Annoncen auf. Unter ihnen ein „Herrenfahrer“ (schön großspurig: Martin Hohner) und „Die Rassenblondine“ (präsent: Laura Palacios), die in Kofflers Rollenbezeichnung düstere Zeiten vorwegnehmen. Die solistischen Partien werden von der Kellnerin (Natasha Sallès) und dem Kellner (Jakob Kunath) mit klarer Diktion und lyrischem Schmelz gestaltet.

Überzeugend im Orchestergraben

Das Philharmonische Orchester wechselt blitzschnell zwischen salonesker Leichtigkeit und emotionaler Verdichtung. Mit Klavier, Harfe, Akkordeon und Xylophon hat Schöllhorn besondere Orchesterfarben integriert, die aber nie dominieren, sondern sich wunderbar in den Gesamtklang einfügen und Stimmungen evozieren. Ein leichter, manchmal auch spöttischer Beigeschmack liegt über Józef Kofflers feingliedriger Musik, die die Dirigentin Friederike Scheunchen in großer Plastizität und Präzision mit dem Philharmonischen Orchester, dem Chor und den beiden Solisten zum Leben erweckt.

Das Ende des 90-minütigen Abends gelingt dem Regieteam viel stärker als der Beginn. In Debora Vogels „Fragment“ spricht Henry Meyer mit besorgter Stimme von den gestiegenen Rüstungsausgaben – und wird unter Protest festgenommen. Einzelne Gäste tragen plötzlich Armbinden. Der Kellner schließt das Kaffeehaus. Und spricht zu Kofflers Sonatine op. 12 für Klavier die grausamen Tagebuchaufzeichnungen des SS-Hauptscharführers Felix Landau über die Naziverbrechen in Lemberg: „Im Laufe des Nachmittags wurden noch ungefähr 300 Juden und Polen umgelegt. Für heute ist nun unsere Beschäftigung zu Ende. Im Radio wieder wahnsinnig schöne, sinnliche Musik, und meine Sehnsucht wächst und wächst nach Dir.“ Peter Carps Blick nach vorne schärft in seiner Inszenierung den heutigen Blick zurück.