Foto: Ensembleszene © JU
Text:Elisabeth Maier, am 20. Januar 2018
Kay Voges inszeniert in Stuttgart „Das 1. Evangelium“ nach dem Matthäus-Evangelium
Am schmuddeligen Filmset eines B-Movie wird Jesus geboren. Ganz nah fährt die Kamera auf den Bauch der Mutter, zeigt das blutverschmierte Kind. Der Vater, verklärt im Drogenrausch, schneidet die Nabelschnur durch. „Die Menschwerdung“ stellt voyeuristisches Docutainment im Privat-TV in den Schatten. Dann ruft der Regisseur „Cut“. Schluss und Aus. Hollywood ist das nicht, was der Dortmunder Schauspielchef Kay Voges da am Stuttgarter Staatsschauspiel in seinem Medienspektakel „Das 1. Evangelium“ zelebriert. Selbst die Palmen vor dem American Diner, in den er die biblische Geschichte verpflanzt, sind verdorrt.
Sein Multimediatheater verblüfft, viele Zuschauer sind baff. Weihrauchduft kitzelt in der Nase, Bachs Matthäus-Passion dröhnt aus Lautsprechern. Auf der Drehbühne, die nicht zum Stillstand kommt, wechseln sich christliche Ikonen ab mit Barmädchen und Akteuren des umtriebigen Filmteams. Immerhin gibt es für das Bibelprojekt Fördermittel aus Brüssel, teilt der Produzent per Video mit. Lukrativere Fördertöpfe bleiben der zweitklassigen Produktion verschlossen.
Von Pier Paolo Pasolini Verfilmung des Evangeliums hat sich Voges ebenso inspirieren lassen wie von dem Fotografen Fred Holland Day. Der Amerikaner war von den Oberammergauer Passionsspielen so fasziniert, dass er Kreuzigungsszenen in seiner Heimat nahe Boston nachstellen ließ. In einem Kasten der Drehbühne formieren sich die Akteure immer wieder zu neuen Ikonografien, die Pieta in Variationen. Zugleich nimmt Voges Mechanismen des Theater- und Filmbetriebs aufs Korn. Doch da scheitert er. Wenn Holger Stockhaus, der den Produzenten ebenso verkörpert wie Pontius Pilatus, quälend lang Anekdoten aus der Filmgeschichte ausplaudert, erntet er einzelne Lacher. Die anderen sind ratlos. Inhalte lassen sich aus diesem verbalen Trash schwer herauslesen.
Während Voges damit das Ziel verfehlt, erzählt er die Geschichte vom Leiden und Sterben Jesu stark. Er arbeitet mit dem Text der Interlinearübersetzung, also Wort-für Wort. Die großartige Julischka Eichel haucht dem Gottessohn wildes Leben ein. Schön bringt sie in der Bergpredigt die Zweifel Jesu auf den Punkt: „Wenn Du Gottes Sohn bist, dann mach doch, dass die Kriege aufhören …dass keine Oma mehr jämmerlich im Altersheim verfällt.“ In einer zauberhaften Liebesszene mit Regisseur Fred, von Paul Grill sonst klischeehaft porträtiert, befreit sie den Text aus den Fesseln des Zitatenschatzes, in den er immer stärker abdriftet. Auch das musikalische Universum, mit dem Paul Wallfisch die Bilder unterlegt, verwässert zum Hintergrundsound.
Auf den zwei kleinen Bildschirmen am Rand fordert Voges die Zuschauer auf, Monteur ihres eigenen Films zu sein. Der gut gemeinte Rat ist überflüssig, denn auf Michael Sieberock-Serafimowitschs klar strukturierter Bühne geht ohne simultane Seherfahrung nichts. „Es ist an Ihnen, das dritte aus zwei Bildern zu bilden“, forderte schon Starregisseur Jean-Luc Godard sein Publikum auf. Der Satz ist Triebfeder von Voges Medienkonzept, das er auch hier virtuos umsetzt. Video, Fotografie und Schauspielkunst verknüpfen Voxi Bärenklau und Robi Voigt auf der Großleinwand und auf drei kleinen Projektionsflächen so spannend, dass ein Sog entsteht. Voges‘ grandioses Experiment, die Formensprache des Theaters in Zeiten des digitalen Wandels weiter zu entwickeln, geht auf. Anders als in Voges‘ hoch gelobter „Borderline Prozession“, die mit dem Raum spielt und das Publikum einbezieht, begnügt sich das Regieteam hier mit der engen Bühne. Ein Kamerateam ist immer dabei, filmt Bilder und Filmszenen. Der lieblos montierte Text aber ließ viele Zuschauer ratlos zurück.