Szene mit Michael Wittenborn, Michael Weber und Britta Jacob

Irgendwas mit Gott und Tod

Ingrid Lausund: Trilliarden. Die Angst vor dem Verlorengehn

Theater:Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere:04.02.2017 (UA)Regie:Ingrid Lausund

Wie hältst du es mit Gott? Die Gretchenfrage schwebt die ganze Zeit über der Uraufführung von „Trilliarden: Die Angst vor dem Verlorengehen“ am Hamburger Schauspielhaus. In hautfarbenen Fleischanzügen laufen die Protagonisten auf der leeren Bühne im Kreis umher, erst schwerfällig, dann gehetzt. Bald ertönen erste Grunzlaute. Ein Sinnbild für die Entwicklung des Menschen in all seiner Fehlerhaftigkeit: Der Eine bekommt einen dicken Hintern, die Andere zu spitze Brüste, wieder ein Anderer beschwert sich über seine spießigen Klamotten. Irgendjemand hat sie alle falsch designt. Wahrscheinlich Gott, aber wer ist das überhaupt, und warum macht er manchen Menschen dickere Hintern als anderen?

Die Inszenierung von Ingrid Lausund, die das Stück selbst verfasst hat und als Drehbuchautorin der TV-Serie „Der Tatortreiniger“ bekannt wurde, konzentriert sich nach diesem witzigen, wenngleich zu langen Einstieg ganz auf das, was ihre Protagonisten zu sagen haben: Eine junge Mutter (Angelika Richter) redet ihrem imaginären Sohn zu, alle Religionen seien gleich, aber Weihnachten gäbe es eben nur für Christen, und er wolle doch Geschenke. Ein selbstverliebter Fitness-Typ (mit großer Spielfreude und Tanzeinlagen: Bastian Reiber) erklärt, wie narzisstisch es sei, sich vor dem Tod zu fürchten: „Und dann sagt man ,Ich will aber noch nicht sterben’ – aber die anderen wollten alle sterben, oder was?“.

Wahrheit und Wellness-Mystik

Das Problem an diesem Manegen-Lauf ist, dass er ziemlich schnell ziemlich langweilig wird. Das liegt vor allem daran, dass die durchaus liebenswerten Figuren immer dann aus dem Scheinwerferlicht flüchten, wenn es gerade spannend mit ihnen wird. Das mag Teil der Botschaft dieses Stückes sein: Die flüchtige Moderne läuft wie ein zu schnelles Zahnrad, und am Ende ist man grundlos tot, ohne sich wirklich kennengelernt zu haben. Aber als Zuschauer kommt man sich dabei vor, wie wenn man aus einem vollen Bücherregal nur die ersten Zeilen jedes Werkes liest: Man hat einen häppchenweisen Eindruck von allem bekommen, jedoch nichts tiefer verstanden.

Aber ist die Theaterbühne nicht dazu da, bedeutende Fragen nicht nur in den Raum zu werfen, sondern sie aktiv zu verhandeln? Auch und gerade, wenn das weh tut? Was in diesem flüchtigen Reigen fehlt, ist eine wirkliche Auseinandersetzung darüber, wie man es heute mit der Religion halten soll. Und wie man mit dem Tod klar kommen soll, dieser letzten, ultimativen Kränkung. Aber für die tieferen Konflikte bleibt das Spiel zwischen den Darstellern leider auf ein Minimum beschränkt. Nur einmal, da singt der hervorragende Chor ein Kirchenlied, und ein Atheist (Michael Weber) rastet aus, was der Scheiß soll mit Seele und Hölle und ewigem Leben. Ihm geht es um Wahrheit, während sich die Gesellschaft zur beruhigenden Wellness-Mystik an den Händen fasst.

Es mangelt an Jod, nicht an Gott

Es bräuchte mehr solcher Konflikte, mehr Dialoge, mehr Drama. Und weniger Fragmente, weniger  Stückwerk, weniger Zapping durch die Ängste. Das hohe Potential des Ensembles wird so immer nur angeritzt, aber nie wirklich ausgespielt. Das zeigt sich in der zweiten, besseren Hälfte dieses Theaterabends: Bjarne Mädel, bekannt als „Tatortreiniger“ und Ernie aus der Serie „Stromberg“, spielt einen Depressiven, der sein Seelenheil im Kloster sucht, bis er vom Arzt erfährt, dass ihm nicht Gott, sondern lediglich Jod fehlt. Seine innere Hölle war nur eine Schilddrüsen-Unterfunktion. In ein paar Sätzen gelingt es der Autorin hier, die komische Tragik eines ganzen Lebens zu entfalten – und der Darsteller wirft so viel treuherziges Gefühl in den Monolog, das man seine Ratlosigkeit, aber auch die Erleichterung mitfühlen kann.

Karoline Bär und Michael Wittenborn glänzen hingegen durch aggressive Rotzigkeit, und Juliane Koren betreibt Erkenntnisphilosophie mit der Schnapsflasche in der Hand. Wie die Wirtin einer Bar voller einsamer Seelen, die über irgendwas mit Gott und Tod grübeln. Spielfreude und Qualität sind jedenfalls da – man müsste diese Protagonisten nur weniger grübeln und mehr miteinander spielen lassen.