Im weiteren Verlauf lässt er seine zehn Tänzer ausschließlich als Liebespaare auftreten. Romeo und Julia – verfünffacht, das hat den Charme, dass jeder Tänzer die Solopartien mit seiner ganz eigenen Persönlichkeit füllt. Dramaturgisch erweist sich das Konzept jedoch als schwierig, da für die zentrale Handlung – zwei Liebende, die nicht zueinander finden, weil die Gesellschaft es nicht zulässt – zusätzliche Charaktere unabdingbar sind. Der Choreograf versucht das Problem zu lösen, indem er sein Ensemble in Lederkluft auftreten lässt. Was laut Programm die Fremdbestimmung Julias durch die Gesellschaft darstellen soll, wirkt jedoch auf der Bühne wie ein bizarrer Geschlechterkampf. Frauen lassen ihre Männer wie Marionetten tanzen, Männer revanchieren sich als gewaltbereite Machos. Immer wieder hält das Ensemble mit kantigen Armbewegungen sein Gegenüber auf Distanz. Wäre da nicht das ausdrucksstarke Liebes-Pas-de-deux von Hsiao-Ting Liao und Christopher Havner, man könnte glatt vergessen, dass es sich hier um eine Liebesgeschichte handelt. Irgendwann fallen sämtliche Paare wie tot zu Boden und der dramaturgische Bogen schließt sich. Am Ende ist wieder ein Liebespaar zu sehen, irgendwo im Nirgendwo.
Alles in allem ein mitunter ausdrucksstarkes, technisch versiert getanztes Stück zu wohl ausgewählter Musik. Prokofjews zentrales musikalisches Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die 80-minütige Produktion, Martin Räpples Neukomposition fügt sich harmonisch ein. Wer jedoch das Programmheft nicht gelesen hat, tappt im Dunkeln, ganz zu schweigen von der Dramatik der großen klassischen Vorlage. Eine packende Tragödie will in diesem Gewühl der Identitäten nicht gelingen.