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Gekaufte Träume

Bohuslav Martinu: Juliette

Theater:Theater Bremen, Premiere:29.03.2014Autor(in) der Vorlage:Georges NeveuxRegie:John FulljamesMusikalische Leitung:Clemens Heil

Die Suche nach einem Mädchen, in das er sich einst verliebt hatte, führt einen jungen Mann in eine Stadt, deren Bewohner gedächtnislos im Jetzt leben. Sogar ihre jeweilige Identität scheinen einige von ihnen ja nach Situation zu wechseln, ohne sich an die vorherige zu erinnern. Der Sucher erkennt die Stadt wieder und findet die Geliebte. Doch am Ende stellt sich heraus, dass er die ganze Zeit in einer virtuellen Welt umhergeirrt ist. Seine angebetete Juliette, die Stadt am Meer, ihre schicksalslosen Einwohner: alles nur Surrogate, nach vorheriger Buchung erzeugt von einem „zentralen Traumbüro“. Und Michel, der Held von Bohuslav Martinus Oper „Juliette“, strandet am Ende im Nirgendwo.

Man sollte annehmen, dass eine so unkonventionelle Geschichte (Martinu schuf sie ab etwa 1935 nach dem Drama „Juliette oder Der Schlüssel der Träume“ des 1900 in der Ukraine geborenen, 1920 nach Paris emigrierten Autors Georges Neveux, die Uraufführung war 1938 in Prag) ihre Interpreten auch zu einer unkonventionellen Inszenierung herausfordert. Zumal ja die Parallelen zur Suggestionskraft und Suchtgefährdung unserer digital erzeugten Scheinwelten auf der Hand liegen. Doch der britische Opernregisseur Robert Fulljames, dem Jacqueline Davenport choreographisch zur Seite steht, belässt es bei einer effektvollen, in der Personenführung präzise gezeichneten Nacherzählung im malerischen Bühnenbild von Johanna Pfau. Letzteres zeigt schummerige Hausfassaden mit schimmernden Lamellenfenstern, in denen die Bewohner der Küstenstadt wie in einem Adventskalender erscheinen, und die immer wieder durch illustrative Videos von Ian William Galloway überblendet werden.

Das sieht sehr gut aus. Licht (Joachim Grindel) und Nebel schaffen atmosphärisch dichte Bilder; der alte Araber, Fischhändlerin und Vogelhändlerin, der Kommissar und später Briefträger, der Mann mit dem Helm, der Akkordeonspieler, schließlich die mondäne Juliette, sie alle bilden ein pittoreskes, nach Otto-Dix-Manier schräge karikiertes Figurenkabinett. Und dass immer wieder erläuternde Texte, die im Libretto einzelnen Figuren zugeordnet sind, wie von einer externen „Spielleitung“ per Lautsprecher eingespielt werden, ist ein hübscher Coup. Doch die Interpretationsangebote dieser faszinierenden, viel zu selten gespielten Oper lässt das Regieteam liegen. Und das ist bei so einem Werk dann doch ein bisschen mager.

Dafür ist der Klangzauber, den die Bremer Philharmoniker unter dem Dirigenten Clemens Heil entfalten, beträchtlich. In ihrer Mischung aus tschechischem Idiom, altmeisterlicher Satzkunst und Adaption zeitgenössischer Musik von Debussy bis hin zum Chanson ist diese Musik stilistisch schwer zu fassen. Clemens Heil gelingt es vorzüglich, die ambivalenten Klang- und Ausdrucksvaleurs zu einem Kontinuum zu formen und Martinus Kunst des changierenden Übergangs wirkungsvoll zur Geltung zu bringen. Allerdings könnte man sich manches brillanter und agiler gespielt vorstellen.

Gesungen wird ausgezeichnet, allen voran der schlanke und klare Tenor Hyojong Kim als verliebter Michel mit lyrischer Legato-Kultur, dem auch beträchtliche Forte-Strahlkraft zur Verfügung steht. Nadja Stefanoff ist eine leuchtend vitale Juliette, beinahe ein bisschen zu stabil für diese Traumfrau. Im großen Ensemble bleiben Loren Lang (Mann mit Helm, Erinnerungsverkäufer, Sträfling), Christian Andreas Engelhardt (Kommissar/Briefträger, Beamter im Traumbüro), Christoph Heinrich (Alter Araber, Alter Mann, Alter Matrose) und Ulrike Mayer (Kleiner Araber, Handleser, Hotelboy) prägnant in Erinnerung. Und Marie-Elise Boyer hat als Pianistin in der Schenke von „Altvater Jugend“ einen virtuosen Auftritt. Am Ende begeisterter Applaus.