Finale Engel aus "In Ewigkeit Ameisen"

Geflügeltes Ende

Wolfram Lotz: In Ewigkeit Ameisen

Theater:Akademietheater Wien, Premiere:22.03.2019 (UA)Regie:Jan Bosse

Aller Ende fällt schwer. Das ist derzeit im Chaos um den Brexit in London und Brüssel zu beobachten ­– und in den beiden Texten von Wolfram Lotz, die am Wiener Akademietheater nun unter dem Titel „In Ewigkeit Ameisen“ uraufgeführt wurden, nachdem sie schon vor einigen Jahren als Hörspiele gesendet wurden. Im namensgebenden Stück suchen ein Professor und sein zögerlicher Rollstuhlschieber namens Müller im afrikanischen Urwald eine unentdeckte Ameisenart, als der Ausbruch des finalen Atomkriegs dazwischenkommt. Doch den Professor interessiert das nahe Ende der Zivilisation nicht, da er sich als Namensgeber der blauen Ameisen Eingang in die Ewigkeit verspricht; also treibt er Müller weiter zur Vollendung der sinnlosen – und zugleich sinnstiftenden – Tat.

Dieses kleine Drama strotzt ebenso von geistreichen Dialogen und schlagenden Bildern für die Endlichkeit des menschlichen Strebens wie das zweite Stück: „Das Ende von Iflingen“. Hier steigen der Erzengel Michael und Engel Ludwig in ein Dorf herab, um das Jüngste Gericht zu vollziehen. Doch in keinem Haus gelingt die Heimsuchung der Bewohner. Der so großmäulig wie planlose Michael und der zweifelnde Ludwig begegnen stattdessen einem Igel, einem Mauersegler und einem Schwein, die ganz eigene Vorstellungen haben: von sinnreichem Leben (der im Laub wühlende Igel), einer gänzlich weg zu räumenden Erde (der Mauersegler) und der Hoffnung auf ein Ende durch Schlachtung (das traditionsgeprägte Schwein). Mit sozusagen geflügelten Worten schafft Lotz zwei geistreiche Endzeitbilder, die im Theater aber erst einmal Bühnenleben gewinnen müssten.

Für Jan Bosses Uraufführung dieser dialogischen Fabeln hat Stéphane Laimé einen großen, grauen, schaumstoffgepolsterten Raum geschaffen. Zu Beginn schweben Christiane von Poelnitz und Katharina Lorenz von oben herein, geflügelt und in blauen Overalls (Kostüme: Kathrin Plath). Dabei etablieren sie in der Luft Witzfiguren von Engeln, denen auf der Erde angekommen jedoch bald die Luft auszugehen scheint. Verbunden durch Tonaufnahmen für die Voyager-Missionen, mit Anspracheversuchen an mögliche Außerirdische, erscheinen dann ähnlich gewandet Klaus Brömmelmeier und Peter Knaack im Zweimannzelt, aus dem heraus die Rollstuhlreise von Professor und Müller beginnt. Die beiden nicht unähnlichen Werke werden in der Folge geschickt immer weiter miteinander verknüpft, auch tauschen die Darstellerinnen und Darsteller erst innerhalb der Stücke ihre Rollen und interagieren am Ende gemischt. Nur Aenne Schwarz ist (abgesehen von anderen Kleinrollen) auf das Spiel von Igel, Vogel und Schwein beschränkt. Gerade ihr gelingt es dabei, interessante Gestalten darzustellen. Mit ihrem Kopf zwischen Schaumstoffflächen entsteht in der Mauersegler-Szene ein starkes, eigenartiges Bild, das den schrägen Text unterstützt.

Insgesamt jedoch schafft es das Burgtheater-Ensemble kaum, Charaktere von Interesse zu etablieren, es fehlen Tempo und Nachdruck im Spiel. Die kunstvoll beleuchtete Bühne (Licht: Michael Hofer) illustriert das Hörspiel, ohne Spannungen mit den Texten zu erzeugen; der Rollstuhl wirkt weder als Zeichen noch als Katalysator fürs Spiel. Nachdem am Ende alle Darstellerinnen und Darsteller als blaue Riesenameisen eine Polonaise gedreht haben, entdecken die beiden Engel im erleuchteten Zuschauerraum alias Dorfkirche totwirkende Menschen: Die Gemeinde hat sich mit vergiftetem Abendmahlswein vor dem Jüngsten Gericht selbst gerichtet. Hier schafft die Inszenierung noch einmal in einem schönen Bild die überzeugende Übersetzung der kleinen Sprachjuwele auf die Theaterbühne. Insgesamt aber ist dieses doppelte Wiener Weltende wenig packend, es bleibt vielmehr ziemlich harmlos. Weitere Endzeitversuche wären wünschenswert. Und vielleicht schafft Lotz auch bald wieder den Abschluss eines neuen Dramas. Der Theaterwelt wäre das – dies ein letzter Wunsch – zu wünschen.