v.l.r.: Sophia Keiler (Laetitia), Jeremy Boulton (Bob), Anna Agathonos (Miss Todd)

Trau, schau, wem

Gian Carlo Menotti: The Old Maid and the Thief

Theater:Gärtnerplatztheater, Premiere:15.06.2025Regie:Alexander KreuselbergMusikalische Leitung:Oleg Ptashnikov

Kurze Radio-Oper aus den 30er-Jahren als Spass für das Publikum: Das Gärtnerplatztheater brilliert mit Gian Carlo Menottis „The Old Maid and the Thief“.

Da soll noch einmal jemand behaupten, in der Oper würde immer ewig lange um den heißen Brei herumgesungen. Denn dass es sehr wohl auch kurz und knackig geht, hat unter anderem Komponist Gian Carlo Menotti mit seinem Einakter „The Old Maid and the Thief“ gezeigt. 1939 fürs Radio konzipiert rauschen die 14 Szenen der Handlung hier in rund einer Stunde vorbei. Und man bekommt dennoch (fast) alles, was es für ein absurd komisches Musikdrama braucht.

Für die rasch wechselnden Schauplätze hat sich Regisseur Alexander Kreuselberg auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters von seinem Ausstatter Rainer Sinell dafür mehrere kleine Inseln bauen lassen, die auch parallele Aktionen erlauben und das turbulente Geschehen stets in Fluss halten. Optisch bleiben wir hier ganz in der Entstehungszeit der Oper, was dieser Neuinszenierung einen nostalgisch plüschigen Charme verleiht, aber durchaus zur Geschichte passt, deren Verwechslungen sich in Zeiten von Smartphone und Internet sofort gelöst hätten.

In einer verregneten Nacht nimmt die alleinstehende Miss Todd einen durchnässten Landstreicher bei sich auf, der neben einer balsamisch weichen Bariton-Stimme und seinem wunderschönen Namen (Bob) vor allem einen stattlichen entblößten Oberkörper vorweisen kann, als er sich am Kamin trocknet. Attribute, die nicht nur bei der alten Jungfer, sondern ebenfalls beim jungen Hausmädchen Laetitia die Hormone in Wallung bringen. Dass die Zeitung später von einem entflohenen Kriminellen berichtet, dessen wage Beschreibung tatsächlich auf Bob zutreffen könnte, macht den Fremden dabei nur noch interessanter und verleitet die Damen schließlich sogar dazu, sich selbst strafbar zu machen.

Klischees von großer Oper

Menotti spielt hier immer wieder mit den Klischees der großen Oper. Und dies nicht nur in der eingängigen Partitur, sondern auch im selbst verfassten Libretto, dessen doppelbödige Pointen Regisseur Kreuselberg subtil herauskitzelt. Zumal er dafür ein überaus spielfreudiges Ensemble zur Verfügung hat. So unter anderem Sophia Keiler, die als Laetitia zum Frühstück nicht nur Eier und Tee serviert, sondern das spartanische Mahl gleich noch mit funkelnden Koloraturen garniert, wie sie sonst eher den Diven-Rollen der Belcanto-Zeit vorbehalten sind. Keiler meistert den Spagat zwischen Klamauk und großer Operngeste da ebenso geschickt wie Anna Agathonos. Als scheinheilige Moralwächterin im dritten Frühling bewegt sie sich mit sonor samtiger Alt-Stimme irgendwo zwischen Angela Lansbury und Margaret Rutherford. Wobei sie von den beiden britischen Schauspiellegenden zwar nicht unbedingt das detektivische Gespür ihrer jeweiligen Paraderollen als Jessica Fletcher und Miss Marple geerbt hat, sehr wohl aber das komödiantische Timing. Es ist einfach nur köstlich, wenn Agathonos mit ihrer Nachbarin Frances Lucey zur Teestunde scharfzüngig den neuesten Klatsch aus der kleinen Provinzstadt austauschen darf. Inklusiver kleiner Sticheleien untereinander. Da gibt es allein schon durch das Minenspiel der beiden Sängerinnen einiges zu schmunzeln.

Kein klares Schwarz oder Weiß

Den Kontrast nötig dazu bildet Jeremy Boulton, der als geheimnisvoller Fremder ironischerweise den einzig ehrlichen Menschen in dieser Parabel über Sein und Schein verkörpern darf. Und natürlich schadet es nicht, dass der australische Bariton in seinen schwelgerischen Mini-Arien im wahrsten Sinne des Wortes jene „beautiful voice“ vorzuweisen hat, von der Menotti die Damen atemlos schwärmen lässt. So schuldlos, wie er sich hier inszeniert, ist aber auch Bob natürlich nicht. Was eine der weiteren Qualitäten des Librettos unterstreicht, in dem es trotz zahlreicher Klischees am Ende eben kein klares Schwarz oder Weiß gibt, sondern sich alle Figuren in moralischen Grauzonen bewegen und sich die Wahrheit der Situation und den eigenen Bedürfnissen entsprechend zurechtbiegen.

Daran lässt die Regie ebenso wenig zweifeln wie Dirigent Oleg Ptashnikov. Er weiß neben den plakativ romantischen Momenten gerade auch das Groteske in der Partitur mit viel Fingerspitzengefühl zu bedienen. Wodurch er das transparent aufgefächerte Orchester aus der rein begleitenden Funktion erlöst und zum ironischen Kommentator macht. Denn selbst wenn Menotti hin und wieder deutlich in Richtung Hollywood schielt, steckt in seiner Musik doch wesentlich mehr als ihm manche seiner Zeitgenossen zugestehen wollten.