"Die Wolken, die Vögel, der Reichtum"

Flüchtige Gedankenspiele

Thom Luz nach Aristophanes: Die Wolken, die Vögel, der Reichtum

Theater:Residenztheater, Premiere:25.11.2021 (UA)Regie:Thom Luz

Es ist eine Premiere im dritten Anlauf. Der erste fiel dem Lockdown zum Opfer, der zweite einer Erkrankung im Ensemble. Und nun, da Thom Luz seine Aristophanes-Adaption „Die Wolken, die Vögel, der Reichtum“ endlich im Münchner Cuvilliés-Theater zur Uraufführung bringen kann, dürfen schon wieder nur noch 25 Prozent der Sitze besetzt werden, der nächste Lockdown steht kurz bevor. „Ich bin hingefallen“, sagt im Stück mal eine. „Und nun?“, fragt eine andere. „Nun frage ich mich, ob es lohnt, wieder aufzustehen.“ Immer wieder sind sie da in diesem bemerkenswert merkwürdigen Abend: diese Momente, in denen viel vom Draußen in diese abgeschlossene Gedankenwelt dringt. In denen das Leben Theater wird und das Theater Leben. Die Bühne, die Luz entworfen hat, steht in krassem Kontrast zum üppigen Rokoko-Theater: ein weißer, industriell angehauchter Raum, der sich bis zur rückwärtigen Bühnenwand erstreckt und – durch das dortige Fenster – darüber hinaus in die kalte Novembernacht. Im Raum wabert weißer Dunst, Nebel, der eine Endzeitstimmung verbreitet und den Blick trübt.

In anderen Sphären

Thom Luz, der wie immer assoziativ vorgeht, wählte die drei zugrunde liegenden Stücke nach ihren Titeln aus, die Flüchtigkeit versprachen. Die Menschen in den Stücken von Aristophanes haben irrwitzige Ideen, bauen sich „Wolkenkuckucksheime“. Die Realität macht ihnen dabei selten einen Strich durch die Rechnung, sie wird einfach ausgeblendet, der Irrwitz gefeiert. Es sind Utopien, Gedankenspiele – und da treffen sie sich mit dem Theater von Thom Luz, das einen auch in andere Sphären entführt, weg vom Boden der Realität. Er sucht das Luftig-Leichte, das Absurde, lässt riesige Luftpolster durch den Raum fliegen und legt weiße Styroporkugeln in ausgehöhlte Klaviere: „leere Welten, unbeschrieben“, bereit, neu gedacht zu werden. „Darin kann man vieles Deuten, oder neu erschaffen.“ An den Wänden lehnen Leitern, „um die Vogelperspektive herzustellen“. Allerorten: die Möglichkeit eines Neuanfangs, die diesen Raum jedoch nie verlassen wird, denn ein Ausgang ist nicht zu finden. Auch das Bühnenbildmodell steht auf der Bühne, die Figuren sind darin mit Punkten gekennzeichnet. Das Leben ein Spiel? Die Menschen Teil von etwas Größerem? Luz liebt die Übergänge, den Zwischenraum zwischen Wirklichkeit und Gedankenkonstrukt, zwischen Welt und Theater, Schein und Sein.

Auf der Suche

Er verortet den Abend in der  „Denkfabrik“ des Sokrates, in der die Stücke des Aristophanes fragmentarisiert und neu gemixt werden, in der Leerstellen gefüllt und auch die Textgenese befragt wird. Daniele Pintaudi musiziert nicht nur, er kommentiert und dirigiert das Geschehen vor der Bühne stehend, wendet sich direkt ans Publikum. Bis wann hat man es noch mit dem eigentlichen Stück zu tun? Wo beginnt etwas vollkommen Neues? Die Figuren, die in ihren weißen Overalls und weiß bemalten Gesichtern durch den Raum geistern wie Wiedergänger antiker Schauspieler, sind nach eigener Aussage „auf der Suche nach Heilung und Wissen“. Und „dem Vorsprung durch Erkenntnis!“ Eine universelle Suche, eine, die kein Ende hat. Zu Beginn kommt ein Neuer in diesen Think Tank. Elias Eilinghoff muss sich erst zurechtfinden, Barbara Melzl nimmt ihn unter ihre Fittiche und erklärt ihm die Regeln dieser Parallelwelt, in der Mareike Beykirch als Sokrates über den Dingen schwebt und Fragestunden veranstaltet und in der „Lüften das Geheimnis des Erfolges“ ist. In der man im einen Augenblick Sirtaki tanzt und im nächsten zur Telegym flattert. Alles ziemlich schräge Vögel hier.

Luz entwirft einen Ort der Debatten, die allzu oft ins Leere führen und einfach im Raum schweben bleiben wie die Luftkissen, denen irgendwann die Luft ausgeht. „Die Welt ist eine reine Konstruktion von Ideen“, heißt es einmal. Und das gilt auch für diesen Abend. Irgendwie ist alles drin. Ganz nebenbei ist er immer wieder sehr aktuell. Und irgendwie schwebt er dennoch über den Dingen, bleibt unverbindlich. Flüchtig, wie Luz sagen würde. Vielleicht hie und da ein wenig zu flüchtig. Wie eine Wolke, verdichtete Luft. Ein Museum schöner Momente, ein Wolkenkuckucksheim eben.