Foto: Szene aus "Well Done" von Nadav Zelner © Christian Kleiner
Text:Bettina Weber, am 16. April 2023
Ein junger Mann sitzt wartend auf einer breiten Bank, einen Blumenstrauß haltend: Ja, die Liebe ist nicht selten eine Haltestelle, bedeutet Reise und Veränderung, Wagnis und Gefühlssturm. All diesen Facetten sinnt Stephan Thoss in seiner neuen Kreation „A Good Day“ nach – eine der drei Arbeiten des neuen Tanzabends „Young Lovers“ am Nationaltheater Mannheim, mit dem die Ballettcompagnie sich außerdem zum ersten Mal in der neuen Interimsspielspielstätte Altes Kino Franklin am Stadtrand präsentiert. Die Uraufführung ist als Ersatzstück für die abgesagte Choreografie „Woke up Blind“ (2016 uraufgeführt am Nederland Dans Theater) von Marco Goecke entstanden. Goecke hatte sich durch die Hundekot-Attacke auf die Kritikerin Wiebke Hüster im Februar aus Mannheimer Sicht so disqualifiziert, dass die geplante Zusammenarbeit gestoppt wurde. Thoss sprang als Leiter der Compagnie kurzerhand selbst ein und erarbeitete eine ambitionierte Uraufführung. Dass er dabei deutlich weniger Vorlaufzeit hatte als üblich, merkt man dem Abend kaum an.
Eruptive Verliebtheit
Mit expressiven Dehnungen und Sprüngen, einer überwiegend temporeichen Dynamik erkundet die Choreografie verschiedene Aspekte einer jungen, beginnenden Liebe. Aus dem in dunkles Schwarz gekleideten Ensemble (Kostüme: Stephan Thoss und Romy Liebig) stechen zwei junge Männer in karierten Hosen hervor (Lorenzo Angelini und Leonardo Cheng) und eine Tänzerin (Silvia Cassata), die, ganz in Rot gekleidet, den Kuss verkörpern soll. Der frisch Verliebte und der Kuss: Diese Figuren stehen sinnbildlich für die starken Gefühle der beginnenden Liebe. Die Körpersprache der Choreografie erinnert insgesamt an einen übersprudelnden Hormonstoß, wirkt wie der eruptive Ausbruch einer gerade entstehenden Zuneigung, bleibt dabei allerdings vielfach abstrakt und dadurch nicht immer wirklich aussagekräftig. Was die Arbeit derweil auszeichnet, ist die Tatsache, dass neben den positiven Seiten des Frisch-Verliebtseins (immer wieder flattern etwa die Hände der Tanzenden wie Schmetterlinge) auch die Kehrseite dieser Gefühle zum Tragen kommt – die Verletzlichkeit etwa und die Gefahr, abgelehnt zu werden, beides versinnbildlicht, indem die Körper der Tanzenden einander sowohl anziehen als auch abstoßen. Überhaupt: Da, wo „A Good Day“ konkreter wird, gewinnt die Choreografie maßgeblich an Anziehungskraft.
Zärtliches Beziehungsgeflecht
Bereits 2022 für das Nationaltheater Mannheim entstanden ist das zweite Stück des Abends: „The Little Men“ von den Geschwistern Imre und Marne van Opstal, das nun erfreulicherweise neu einstudiert wurde. Zwischen einer dreigeteilten Sprossenwand (auch die Ausstattung stammt von den beiden Niederländer:innen), die an eine Sporthalle, aber auch an ein Gefängnis erinnert, tanzen Paloma Galiana Moscardó, Leonardo Cheng und Albert Galindo auf engstem Raum und wie unter einem Brennglas ein zärtliches, hochgradig kunstvolles Beziehungsgeflecht. Die Arme mittig einander berührend, laufen sie zunächst im Kreis, um dann nach und nach das Gerüst auf immer neue Weise zu erkunden; vereinzelt oder ineinander verschlungen, sich gegenseitig langsam tragend oder auffangend. Immer wieder fällt eine:r der Tanzenden in die schützenden Arme der Anderen, steht das choreografische Vokabular (mit Anleihen aus dem Yoga) für absolute Hingabe – getaucht in warmes, konzentriertes Licht (Nicole Berry/Imre und Marne van Opstal). Ein gleichermaßen sinnfälliges wie eigenwilliges und unvergessliches Tanzstück.
Forcierte Rhythmen
Ganz im Kontrast zu dieser entschleunigten Zentriertheit steht die dritte und letzte Kreation des Abends. Dabei startet auch „Well Done“, eine Uraufführung von Nadav Zelner, zunächst eher gelassen: In einem breiten Kasten mit Glasfront und vergoldeter Rückseite (der unwillkürlich Assoziationen an einen Warteraum weckt) plaudern und lungern die Tänzer:innen herum, rauchen Theaterzigaretten, während die Techniker:innen am Ende der Pause noch live mit dem Umbau der Bühne beschäftigt sind, die nun zu beiden Seiten von flachen Lüftungsschächten gesäumt wird (Bühne: Eron Atzmon). Die Kostüme der Tänzer:innen (Maor Zabar) sind über und über mit überdimensionalen Brandflecken bedeckt. So weit, so klar die Symbolik: Hier geht es um den Abschluss, das Ende einer Liebe. Mit Einsetzen der Musik – hier setzt Nadav Zelner wie schon in anderen Kontexten auf starke Rhythmen, in diesem Fall auf Flamenco – beginnt dann eine Choreografie, die es in Sachen Schnelligkeit, Forciertheit und Kulmination in sich hat: Stakkatoartig werden Arme und Beine geschwungen und gestoßen, trippeln und stoben die Tanzenden zueinander und voneinander weg – eine auch konditionell beeindruckende Leistung des Mannheimer Tanzensembles. Mitunter verstärken die Tänzer:innen den Rhythmus der Musik durch Schläge etwa auf den Boden oder die eigene Brust sowie auf den Kopf: der Widerstreit zwischen Vernunft und Gefühl als Sinnbild des Liebeskummers. Zelners choreografische Ausdrucksmittel sind unmissverständlich, ohne zu vereinfachen. Wenn etwa drei der Tänzerinnen in schwarzen langen Kleidern und Schleiern als Witwen auftreten, treffen Gesten des Stolzes und der Trauer auf eine Mimik der Befreiung – eine von vielen unvergesslichen Szenen. „Well Done“ ist auch dramaturgisch ein starker Abschluss für diesen insgesamt lohnenden Dreierabend.