Nah in die Kamera spricht er das, als seien wir seine Oma, die es zu betüddeln gilt. Die sechs Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 19 Jahren stehen in diesem Moment live auf der Bühne und werden das für jede weitere Vorstellung tun – dem Regisseur Gernot Grünewald ist es wichtig, dass die Erinnerung auch wirklich erinnert wird. Und nicht in einer Filmdatei konserviert. Und so macht das Theater hier das, was es am besten kann: gemeinsam erinnern, gemeinsam 60 Minuten altern, gemeinsam einen Schritt dem Tod entgegen gehen.
Jeden Tag erkranken in Deutschland rund 900 Menschen an Demenz. Wie ist das, wenn einen der eigene Großvater, bei dem man all seine Ferien verbracht hat, plötzlich nicht mehr erkennt? Die Spielerinnen und Spieler haben in der eigenen Familie recherchiert. Sie haben ihre dementen Großeltern interviewt, haben Tonaufzeichnungen mitgebracht, alte Familienvideos, Fotobücher. All das wird auf der Bühne präsentiert – in einem dunklen Raum, von Glasscheiben begrenzt. Immer wieder spielt Grünewald mit Spiegelungen, Schatten, unsichtbaren Glasgrenzen. Manchmal wird Staub von den Scheiben gewischt, bis projizierte Hochzeitsbilder erkennbar werden. Das ist wenig subtil, passt aber bestens zum Thema.
Und der Regisseur tut gut daran, den Abend hier und da aus der Aura der Huldigung herauszuholen – denn mal ehrlich: Welcher Teenager hätte immer Geduld mit den vergreisenden Großeltern? Also wird Opa auch mal verärgert bedrängt, sich doch jetzt gefälligst zu erinnern, ob er die Fische heute schon gefüttert hat oder nicht. Genervt wird die türkische Großmutter gefragt, wann sie denn endlich gedenke, das Loch im Magen ihrer Enkelin zu schließen. Und wenn Oma nicht erlaubt, dass der Wasserhahn jetzt ausgedreht wird, dann gibt es hier gleich eine riesige Überschwemmung!
Als dann Familienkonflikte, das Leid im Umgang mit der Krankheit gestreift werden, wird es bedrückend. Etwa die Szene, wenn Greta von ihrem Opa spricht, der mit der kranken Ehefrau sichtlich überfordert war. Geschämt habe er sich für Hilde, sagt Greta mit wütender, verletzter Stimme, während der Lautsprecher die Worte „Heinz, Heinz, nach Hause, nach Hause“ loopt. Angemeckert habe er sie und dafür gesorgt, dass sie am Bett fixiert wurde. Der Familie habe er verboten, sie aus dem Heim abzuholen und Ausflüge zu machen.
Der Abend ist mit großer Empathie entwickelt. Was bedeutet erinnern? Was bedeutet vergessen? Was bleibt vom Selbst, wenn die Biografie verloren geht? Die sehr präsenten, ganz eigenwilligen Spielerinnen und Spieler versuchen sich an einer philosophischen Reise. „Vergessen ist“, heißt es da, „wie wenn man ein Buch aufschlägt, aber plötzlich nicht mehr lesen kann.“ Oder: „Vergessen ist, wie wenn man mitten im Meer plötzlich nicht mehr schwimmen kann.“
Stärker aber sind die Episoden, in denen die Jugendlichen bei ihren konkreten Erfahrungen bleiben. In denen auch ihre Befremdung, ihr Unverständnis spürbar wird: als Oma plötzlich nach dem Frühstück wieder schlafen gehen will; als Oma sich an kein Rezept mehr erinnern kann, das sie jahrzehntelang gekocht hat.
Später erzählen sie von ihren Lebensträumen, davon, was sie selbst am Ende ihres Lebens erinnern möchten, wie sie alt werden wollen. Das Leben ihrer Großeltern spiegelt sich nur hier und da in ihren Sätzen. Und vielleicht muss das so sein. So weit weg ist Alter und Gebrechlichsein noch. Aber wenn die zarten, jungen Körper sich Maskenköpfe überziehen, die nach Gesicht und Haar ihrer Omas und Opas geformt sind, dann wird plötzlich deutlich, dass die Zukunft doch nur ein klein wenig aufgeschoben ist.