Foto: Ensembleszene © Stephan Walzl
Text:Michael Laages, am 23. August 2017
Peter Hailer inszeniert die Deutschsprachige Erstaufführung von „Utøya“ in Oldenburg.
Nicht der Täter interessiert den Autor, auch nicht die tatsächlichen Opfer sollen nicht vorkommen im Theater – Edoardo Erba hat die Echos in der Wirklichkeit drumherum zum Klingen zu bringen versucht, vom Tag vor dem Attentat an. Zu diesem Zweck hat er drei Paare erfunden: zum einen Gunnar und Malin, Lehrer und Hausfrau, schon im Alltag stark verfeindet. In Bergen leben sie, fast 500 Kilometer von Oslo und Utoya entfernt; Tochter Christina ist vom Vater aus erziehungsstrategischen Gründen genötigt worden, zum Lager-Wochenende auf die Insel zu fahren. Die Mutter war von Beginn an dagegen – jetzt sieht’s so aus, als könnte Christina zu Breiviks Opfern zählen.
Unni und Alf sind Polizistin und Polizist, er ihr Vorgesetzter; sie sind verantwortlich für Utoya, und nach der Bombe im Zentrum von Oslo, Breiviks erster Attacke mit acht Toten, steht der Angriff auf die Kinder unmittelbar bevor. Er, der Ältere, will immerzu nur auf Befehle warten; sie will sofort einschreiten, um jeden Preis.
Inga und Petter sind Geschwister, und sie haben einen merkwürdigen Nachbarn auf dem Bauernhof in Asta, 200 Kilometer von Utoya entfernt. Sie ist todkrank, er ein Faulpelz und geistig eher beschränkt. Als alles vorbei ist (und auch 69 Kinder tot sind), wird beiden klar, dass Breivik dieser Nachbar war. Petter (der bis dahin glaubte, dass nur Islamisten solchen Terror ausüben könnten, nach den Anschlägen in Madrid und London) hatte eingreifen wollen, den Nachbar-Hof untersuchen – hätte er die Morde verhindern können?
Die drei Paare wechseln einander ab im Spiel und in immer neuen Wendungen wird die Verzweiflung angesichts des Geschehens beschworen. Aktiv werden wollen, aber nicht können; ja sogar wissen, dass im Moment überhaupt nichts hilft, gerade den Eltern nicht – das ist das zentrale Spannungsfeld in Erbas dreifachem Echo-Spiel. Die Hysterien nehmen massiv und stetig zu, speziell bei Mutter und Polizistin; Vernunft hat keine Chance mehr. Und wer vernünftig bleiben will, wie der Vater und die Schwester auf dem Bauernhof, wird immer kränker und schwächer. Am Schluss ist die Tochter nicht unter den Opfern, und die Eltern trennen sich. Die Polizistin kündigt und der alte Kollege versteht bis zum Schluss nichts. Inga wird sterben, Petter ist erwachsen geworden in der Katastrophe. Irgendwie.
Das szenische Gefüge ist geschickt gestrickt und Regisseur Peter Hailer legt es darauf an, dass die Szenen einander auch überschneiden. Das Publikum sitzt im Saal und auf der Bühne und die Akteure nehmen auch unter uns Platz. So wird der zentrale Schrecken der Norweger im Stück des Italieners Erba ganz sinnfällig kenntlich: dass es „einer von uns“ gewesen ist, der da zum Monster mutierte, einer wie sie alle; nur eben ein bisschen anders. Damit lässt Erba im Theater teilnehmen an einer Debatte darüber, wie fremd der Terror denn wirklich ist, der die Welt Mal um Mal in Schrecken versetzt. Und ob nicht in jedem neuen Angriff durch einen radikalisierten Islamisten auch ein Echo heimisch-europäischen Selbstverständnisses mitschwingt. Das Stück mag so einfach wirken – es berührt eine Menge Tabus. Die gibt’s nicht nur in den skandinavischen Volksheim-Ländern, wie in diesem Fall eben Norwegen oder Schweden.
Die Oldenburger Inszenierung arbeitet schlüssig mit dem Raum von Dirk Becker: Spiel-Areal, Saal-Reihen und Türen. Das Ensemble ist ständig in Bewegung zwischen draußen und drinnen; als würden wir, das Publikum, gerade ins Theater kommen und auf Erkenntnis hoffen. Die aber gibt’s nur beim Blick in den Spiegel.
Edoardo Erba ist hierzulande kein durchgesetzter Autor, der Regisseur Matthias Brenner hatte mal Erbas Stück über „Die Maurer“ ausgegraben, in dem ein Theater zugemauert werden soll. Vielleicht werden jetzt doch mehr Theater von Utoya und dem Schrecken des Terrors erzählen wollen – es lohnt sich.