Foto: Benjamin als Akrobat zwischen jüdischem Mystizismus und kommunistischem Materialismus: James Homann als Gershom Scholem, Miljenko Turk in der Titelpartie und Winfrid Mikus als Bertolt B. © Sebastian Bühler
Text:Detlef Brandenburg, am 10. Februar 2019
Schon bei der Uraufführung von Peter Ruzickas Oper „Benjamin“ an der Staatsoper Hamburg im Juni vergangenen Jahres hatte sich die Regisseurin mittels einer großen Bühnenmetapher von Heike Scheele souverän über die Stationen-Dramaturgie der Musik und die szenischen Angebote des Librettos hinweggesetzt. Wobei das Erstaunlichste war, dass sowohl die Librettistin wie auch die Uraufführungs-Regisseurin Yona Kim heißt. Jetzt hat die Heidelberger Oper die Zweitproduktion herausgebracht, was allein schon hochverdienstvoll ist. Und wieder ignorieren der Regisseur Ingo Kerkhof und seine Bühnenbildnerin Anne Neuser weitestgehend die narrativen Spuren und Schauplätze, die im Text angelegt sind: den Arc de Triomphe in Paris, den Wald bei Portbou, das Inhaftierungslager in Vernuche, den Hafen von Marseille… Nur dass an die Stelle des verfallenen großbürgerlichen Palais, das als eine Art Durchgangsstation genutzt wird, als Warteraum oder als Lager, nun in Heidelberg ein karg eingerichteter, letztlich zeit- und ortloser Gedankenraum tritt
Dieser graue Kasten mit den Stühlen an den Wänden: Er könnte ein Seminarraum sein, vielleicht auch die Probebühne einer Akademie, wo die Studenten sich, szenisch experimentierend, mit dem Philosophen Walter Benjamin auseinandersetzen. In einem Prolog improvisiert der Chor, der in Alltagszivil auf die Bühne wimmelt, erst mal Benjaminsche Textversatzstücke, verdichtet sie zu einem Stimmengewirr und spannt damit die Gedanken auf, die in diesem Denkraum szenisch verhandelt werden. Dann wird einer als Benjamin ausstaffiert und hängt sich den Benjamin-Bart vors Gesicht; und eine Tafel, die einer der Choristen neben ihm hält, nennt seinen Vornamen. Mit solchen Tafeln werden auch die anderen Hauptfiguren avisiert, denen die Kostümbildnerin Inge Medert sparsam historisierende schwarze Roben hat schneidern lassen: Hannah Arendt, die Freundin; Asja Lacis, die marxistisch bewegte Geliebte; Dora Kellner, seine Frau; Gershom Scholem, der Freund; Bertold Brecht, der Dichter des epischen Theaters.
Der hat offenbar auch bei den szenischen Improvisationen auf dieser „Probebühne“ Pate gestanden. Denn die per Namensschild eingeführten Figuren, die Textprojektionen, die immer wieder auftauchen, der anti-illusionistische Gestus dieses Wort- und Gedankentheaters: All das erinnert an Brechts V-Effekte und sein episches Theater. Mit diesem kargen Setting spannt Kerkhof die Benjaminsche Gedankenwelt auf, ohne sie zu illustrieren oder durch allzu viel Handlung zu beunruhigen. Das ist gewagt, weil das Fehlen sinnlicher Momente den Abend spröde macht; aber es passt eben doch sehr gut zu diesem seltsamen Menschen und Denker, zum Fragmentarischen seines Philosophierens, zur Zerrissenheit seiner Gedankenwelt, die in der Bilder-Phantasmagorie den historischen Sinn sucht und im Disparaten das Aufblitzen einer Wahrheit. Und doch macht Kerkhof auch die Tragödie des Menschen Benjamin spürbar, weil die Personenführung so präzise ausformuliert ist. Man ahnt, dass dieser Grübler, Schöngeist und Flaneur nie angekommen, immer irgendwo gestrandet ist: sowohl in seinem disparaten Philosophieren als auch auf seinem ziellosen Lebensweg. Das ist stark.
Stark auch, weil Elias Grandy diese Musik wunderbar dirigiert. Er macht die Vielschichtigkeit spürbar, wo sie vielschichtig ist; die Erschütterung, wo sie sich verdichtet wie in jener Fünften Station, in der Ruzicka die „Jerusalem“-Chor-Episode aus seiner „Celan“-Oper zitiert und damit das Schicksal Benjamins in den Kontext des Antisemitismus bis hin zum Holocaust einordnet. Und wo am Schluss Henri Duparcs Baudelaire-Vertonung „L’invitation au voyage“ ziemlich unverblümt romantisch sich verströmen darf, da findet Grandy mit dem vorzüglichen Orchester einen unsentimental zarten Ton, und Kerkhof baut ein schönes Tableau vivant dazu. Das alles klingt im Vergleich zu Hamburg geradezu kammermusikalisch fein und sehr transparent, was der Musik erstaunlich gut bekommt.
Und dann die Sänger: Miljenko Turk braucht den Vergleich mit Dietrich Henschel in Hamburg nicht zu scheuen, sein Bariton entfaltet sich konturiert, kraftvoll, dunkel und in markanter Artikulation. Yasmin Özkan ist eine völlig andere Asja Lacis als Lini Gong in Hamburg: lyrischer, weicher, aber mit wunderschöner, glockenklar und flexibel strömender Stimme. Und Shahar Lavi ist eine dunkelglühende, auf interessante Weise mildherbe Hannah Arendt. Auch Denise Seyhan als Dora, James Homann als Gershom Scholem und Winfrid Mikus als Bertolt Brecht singen ihre Partien jederzeit rollendeckend. Und der von Ines Kaun einstudierte Chor, dem Kerkhof, was das Spielen angeht, an einigen Stellen auch pragmatisch entgegenkommt, macht seine schwierige Sache wirklich beeindruckend gut. Die Oper Heidelberg hat damit die Repertoiretauglichkeit dieser Oper unter Beweis gestellt, und ihre eigene beachtliche musikalische Kompetenz gleich mit. Das Publikum, so wurde aus der Premiere berichtet, war begeistert.
Termine: 17. Februar, 7/12./22./24. März, 8. April
Wir danken dem Theater und Orchester Heidelberg für die Erlaubnis zum Besuch der Generalprobe, nach dem diese Rezension entstand.