Am Anfang war das Video, am Ende das Selfie. Noch ehe Regisseur Jens-Daniel Herzog als zuständiger Assoziations-Prokurist das schnellstens in die Gegenwart drängende Nürnberger Barockprojekt um Monteverdis Opern-Urknall „L'Orfeo“ mit Bildern überspülen konnte, war am Premierenabend im Opernhaus auf der universellen Projektionsfläche das fürsorglich landesväterliche Saison-Grußwort von Markus Söder samt Staatskanzlei-Impressum zu erleben. Danach, noch klassischer, begann Orfeo als Repräsentant der zeitlosen Kultur-Gesellschaft sein Liebesdrama unter sanft belebten Scherenschnitt-Figuren. Er wagt im hedonistischen Freundeskreis den Sprung in leuchtbunte Disco-Trance, feiert gutbürgerlich Hochzeit mit standesgemäß üppigem Büffet und wird, nach dem schnellen Tod seiner Braut Euridice, durch Verzweiflung tollkühn. Ein zwiespältig verlaufender Reha-Besuch in der Unterwelt mit dem Teufelspakt der Auferstehung (der dortige Herrscher der Finsternis will trotz berufsbedingt grollender Stimme auch nicht mehr als die eigene Partnerin „brav bei mir unter Tage im Ehebett“) bringt die Geliebte nicht wirklich zurück, katapultiert Orfeo aber letztlich aufs irdische Podest. In nächste Parkplatz-Nähe zu den anderen Marmor-Heroen der Weltgeschichte, die als steinernes Gruppenbild grüßen. Jetzt ist er Held und Opfer seiner Liebe zugleich. Was für eine Karriere.
Zum Hades, das war so nicht vorgesehen! Eigentlich sollte an dieser Nürnberger Spielplan-Position ein spätes Schlachtfest der Hochdramatik geschlagen werden, wie gerufen für einen weiteren Triumph der jungen Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz. Nach ihren Heimspiel-Erfolgen mit Großformaten von Prokofjew, Wagner und Verdi war Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ angesetzt. Aber das konnte man sich nach Corona-Regeln beim kühnsten Willen nicht mehr vorstellen, zumal gerade noch darüber gegrübelt wird, ob der als Publikums-Entspannungsübung in Kürze folgende „Vetter aus Dingsda“ aus Sicherheitsgründen mit einem achtköpfigen Salonorchester auskommen muss. Nun also Oper vom anderen Ende her, statt hemmungslos aus dem Vollen geschöpften Musikdrama die feingliedrig den Einstieg ins Opern-Genre signalisierende „Favola in Musica“, Claudio Monteverdis „L'Orfeo“. Variante der vielfach untersuchten Geschichte vom Witwer, den die unfassbare Trauer über alle Grenzen dorthin treibt, wo zumindest literarisch noch Kompromissbereitschaft denkbar ist.