Szene aus "Lohengrin"

Ein Schwanenritter von der traurigen Gestalt

Richard Wagner: Lohengrin

Theater:Osterfestspiele, Premiere:09.04.2022Regie:Jossi Wieler / Anna Viebrock / Sergio Morabito Musikalische Leitung:Christian Thielemann

Nimmt man Wagners „Lohengrin“ einfach so hin, dann bietet die Schwanenritteroper süffigen Wagnersound vom Feinsten. Kurz vor der Droge. Als Einstieg bestens geeignet. Von den himmlischen, geradezu direkt aus dem Gral einschwebenden Streicherklängen des Vorspiels, über Elsas Traumvision vom nahenden Ritter, der – jedenfalls ihrer Aussage nach – mit einem „golden Horn zur Hüften, gelehnet auf sein Schwert“ aus den Lüften zu ihr trat, bis hin zur Gralserzählung eben jenes Ritters bei seinem unfreiwilligen Abschied. Alles gewürzt und grundiert mit königlichem Kriegsgetöse und intrigantem Furor des finsteren Paares im Stück. Das ist Wohlfühl-Wagner pur.

Man versteht – zumindest, wenn sie einzeln dran sind – nahezu jedes Wort. Heikel wird es immer, wenn der König mit dem deutschen Schwert rasselt, um den Feind im Osten das Fürchten zu lehren. Da packt die Regie gewöhnlich der Ehrgeiz im Überbietungswettbewerb in politischer Korrektheit. Und selbst wenn diese Passagen einfach so als Tableau durchgehen, dann kann man das als Statement lesen. Was ja (zumindest bis zum Überfall auf die Ukraine) auch seine Nachwelt-Ordnung hatte …

Aber je öfter man dem Schwanenritter bei seiner Exkursion nach Brabant auf der Bühne begegnet, stellen sich auch Fragen ein. Nicht nur danach, wie es denn „wirklich“ war, also ob der historische Heinrich nicht vielleicht einfach seinen Job machte zum Beispiel. Aber auch, was die erfundene Geschichte selbst betrifft: Da ist etwa die Traumvision, in der ein charismatischer Mann einer jungen Frau „mit züchtigem Gebaren“ Tröstung eingibt? Was hätte sie schon anderes sagen sollen, selbst wenn da mehr gewesen wäre?

Und dann dieser Wunderritter! Kommt einfach und verlangt bedingungslose Gefolgschaft, die Braut und das Land dazu. Das kann von Wagner noch so betörend ins Notenbild gesetzt sein, aber wäre da nicht eine – sozusagen faktenbasierte – Grundskepsis gegen diesen Typ angebracht? Aber nein: Die Massen brüllen gleich „Heil“, (beziehungsweise versehen ihn mit ihren Likes). Und das Ehepaar Telramund? Erst aller Tugend Preis und dann auf eins, zwei „ins Nichts mit ihm“? Das ist zumindest ein spektakulärer Sieg der Gegenpropaganda über den grundsoliden Telramund und die Frau mit Migrationshintergund an seiner Seite.

Radikaler Ansatz

Wenn man grundsätzlich (mit den guten und weniger guten Erfahrungen des sogenannten Regietheaters als Hintergrund) akzeptiert, die im Text erzählte Geschichte und ihre in der Musik mitgeteilte Version auch gegeneinander zu lesen, dann liegt es auf der Hand, die rezeptionsgeschichtlichen Konventionen in Frage zu stellen. Das ist natürlich nicht neu, aber das inzwischen zum Regietrio avancierte Team aus Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock in ihrer Salzburger, auch für die koproduzierende Wiener Staatsoper vorgesehenen Lesart, Elsa tatsächlich den Mord an ihrem Bruder zutrauen, ist schon ziemlich radikal. 

Es wird im Vorspiel an der martialischen Kaianlage klar, dass Ortrud offenbar tatsächlich beobachtet hat, was sie auch ihrem Mann Friedrich berichtet und eben nicht lügt: Hier könnte man Elsa in ihren Hosen und dem Blouson selbst zunächst für Gottfried halten. Aber sie ist es, die da am Ufer steht und sich windet. Wohl vor Schreck oder Entsetzen über sich selbst. Bemüht, von Ortrud nicht bemerkt zu werden, schleicht sie zu einer Tür in der martialischen Uferanlage, um sich dort ein Kleid für die Rolle überzuziehen, die sie fortan sich selbst und allen anderen gezielt vorspielt. 

In dieser Logik ist Elsas überdreht selbstbewusstes, jeder Konvention (speziell auch der Zeit um den ersten Weltkrieg, die die Kostüme im wesentlichen behaupten) hohnsprechendes Verhalten eine Art übersteigerte Verdrängung. Die führt sogar dazu, die Massen mit ihrer Erzählung vom Traumritter zu verführen und den dann erscheinen zu lassen. Der Mann, der hier nicht von einem Schwan sondern einem veritablen Erdbeben begleitet, auftaucht ist eine Erscheinung, die eher einem Ritter der Kokosnuss aus Spamalot als einem romantischen Abgesandten des Grals ähnelt. Mit einem Wort: Ab da funktioniert die Geschichte auf der Bühne in ihrem Bemühen den Lohengrin auf links zu drehen hinten und vorne nicht mehr.

Der König im Habitus eines Hindenburg (mit der wahrhaft königlichen Stimmpracht von Hans-Peter König) und sein eifriger, vor allem den Einsatz der stets sichtbar platzierten königlichen Fanfaren sichernder Heerrufer (Markus Brück) sind in sich stimmig. Bei dem cholerisch überdrehten Telramund (Martin Gantner verausgabt sich vokal bis an seine Grenzen) ist der plötzliche Herzinfarkt beim Duell mit Lohengrin noch plausibel; sein Aufkreuzen mit einer Maschinenpistole vor dem Münster eher ein Amoklauf, als der Versuch, mit einem Eklat, die Dinge wieder gerade zu rücken. In der Logik der Geschichte wäre für ihn hier bereits Schluss. Nun könnte man sagen, dass man seine verzweifelte Wut auch sehen soll. Aber so übersteigert das die Musik nur ins Unsinnige und fördert nichts Erhellendes zutage. 

  Fragwürdige Übersetzung

Es ist überhaupt erstaunlich, wieviel hier bei einem so erfahrenen Inszenierungsteam an szenischer Behauptung nicht funktioniert. Selbst wenn man die Skepsis teilt, was die überkommene Bewertung von Gut und Böse beim Lohengrinp-Personal betrifft, so wie das in Salzburg durchbuchstabiert wird, geht es (selbst nach gutwilliger Programmheftlektüre) auf der Bühne nicht auf. Da nützt es auch nicht mehr viel, wenn der ermordete Gottfried (Luca Griessler) am Ende als kleiner Lohengrin-ähnlicher Zombie wieder auftaucht und sich selbst zum Führer von Brabant erklärt – und das Ganze so im Nachhinein möglicherweise zu Elsas Traum erklärt werden soll.

Dass der stets von der christlichen Propaganda ins heidnische Abseits verwiesenen Ortrud hier einigermaßen Gerechtigkeit widerfährt, ist dabei ein schwacher Trost. Wird aber auch dadurch untermauert, dass Elena Pankratova ihre Ortrud, neben Hans-Peter König als ebendieser, unstrittig mit vokalem Festspielniveau ausstattet. Bei Jacquelyn Wagner verbietet sich so ein Kalauer mit dem Namen: Sie hat eine schöne, schlanke Stimme. In Verbindung mit ihrer jugendlichen Erscheinung und überbordenden Spielfreude wäre sie an einem deutlich kleineren Haus vielleicht auch die Elsa, die man nicht nur sehen, sondern auch hören möchte. Im Großen Festspielhaus ist sie es nicht. So fair, ihr das nicht anzulasten, war das Festspielpublikum im vollbesetzten Haus allerdings.

Beim respektablen Lohengrin von Eric Cutler muss man wohl vor allem bewundern, dass er die zelebrierenden Ausbremsversuche von Christian Thielemann durchgestanden hat. Sieht man mal davon ab, so machte Thielemann seinem Ruf als Wagnerianer mit feinem Gespür und viel praktischem Geschickt für die Akustik des Großen Festspielhauses alle Ehre. Er war – trotz der kleinen Einwände – der unumstrittene Star des Abends. Das Regieteam war wohl auf die Buhs gefasst, die für die Einstudierung von Sächsischem Staatsopernchor, Bachchor Salzburg und des Chores des Salzburger Landestheaters verantwortlichen Damen und Herren für die aus einer Ecke des Saales kommenden (kaum nachvollziehbaren) Buhs hingegen nicht.