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Ein Atombombenbilderbuch

John Adams: Doctor Atomic

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:25.01.2014Regie:Yuval SharonMusikalische Leitung:Johannes Willig

Aber ja: Man findet durchaus auch in der Bhagavad Gita Stellen, die man mit einigem guten Willen auf das Grauen beziehen kann, das mit den Nuklearwaffen in die Welt gekommen ist. Und ja: J. Robert Oppenheimer, den die Welt unter dem zweifelhaften Ehrentitel „Vater der Atombombe“ kennt, liebte den französischen Lyriker Charles Baudelaire. Und vielleicht mag man ja die Gedichte der frauenbewegten US-Lyrikerin Muriel Rukeyser als Spiegel der Situation von Oppenheimers Frau Kitty lesen. Genau in diesem „vielleicht“ steckt jedoch das Problem. Bhagavad Gita, Baudelaire, Rukeyser-Gedichte sowie allerhand Zitate aus Dokumenten und Zeugnissen über die Entwicklung der ersten einsatzfähigen Atombombe im Rahmen des „Manhattan Projects“: Das alles und noch ein bisschen mehr hat der amerikanische Star-Theateravantgardist Peter Sellars kurz nach der Jahrtausendwende zu einem Libretto für John Adams’ Oper „Doctor Atomic“ zusammenmontiert. Das Ergebnis war politisch wie ästhetisch absolut korrekt, aber doch eine etwas verblasene Mischung aus poetischem Tiefsinn und dokumentarischem Musiktheater, zu dem der opulente Minimalist Adams einen üppig lautmalenden, eingängigen Kino-Soundtrack schrieb, der eher oratorisch reflektierend als dramatisch strukturierend daherkommt.

Das spricht aber nicht unbedingt dagegen, das Werk inszenieren. Denn das Thema ist nach wie vor auf der Tagesordnung, die Musik ist effektvoll und raffiniert komponiert, und das Libretto macht dem Regisseur mehr als genug Sinnangebote. Man müsste eben nur eine Lösung für den eher oratorischen Gestus dieser „Oper“ finden, und eine interpretatorische Haltung gegenüber dem etwas diffusen Assoziationsraum, der hier aufgespannt wird. Leider fehlt dem jungen US-amerikanische Regisseur Yuval Sharon, der die Oper „Doctor Atomic“ jetzt am Badischen Staatstheater Karlsruhe im Bühnenbild von Dirk Becker und den Kostümen von Sarah Rolke inszenierte, beides. Er beschränkt sich auf eine Bebilderung, die unentschlossen zwischen einem unverbindlich effektvollen Design und einigen platten Konkretheiten schwankt. Wobei der Effekt vor allem der bildstarken Bühne mit den Videos von Benedikt Dichgans, Philipp Engelhardt und Andreas Grindler (alle drei von der Karlsruher Hochschule für Gestaltung kommend) zu danken ist.

Im ersten Akt werden Szenen, die in flachen Rechteck-Ausschnitten hinter einem Gazevorhang spielen, mit einem Animationsfilm aus Wüstenszenen, einem hübschen kleinen Atompilz und anderen naheliegende Bildern überblendet. Die Ästhetik ist von einschlägigen Comic Strips inspiriert, die Figuren sind entsprechend eindimensional typisiert, tanzende Ballett-Atome geben einen kunstgewerblichen Einblick ins Innere der Materie. Der zweite Akt frönt den Freuden der choreographischen Geometrie. Auf einem überdimensionalen, hinten hoch aufgehängten und in weiter Rundung nach vorn durchhängenden Blatt Millimeterpapier veranstaltet Sharon viel millimetergenaues Geschreite entlang der dickeren Linien und viel sinnfreies Gerenne kreuz und quer darüber hin, wofür auch der Chor in schwarzer Straßenkleidung aufgeboten ist, dessen Outfit irgendwann ins Atomblitz-gebleichte Hellgrau wechselt. Sogar ein Indianer, kostümiert wie aus dem „Schuh des Manitu“-Fundus, kriecht über die Millimeterkaros, das Kindermädchen Pasqualita mutiert mit dunklem Wallemantel und Raubvogelhaube zur Königin der Nacht des Kindermärchens und macht bedeutungsheischende schamanische Gesten – so paart sich diffuse Opulenz mit handfester Betulichkeit.

Das ist schade. Denn musikalisch hat die Produktion Meriten. Unter dem Dirigenten Johannes Willig lässt das Badische Staatsorchester Adams’ Musik raunen, funkeln, dröhnen und glitzern, Ulrich Wagner hat den Chor sattelfest einstudiert. Und während Katharine Tier als Kitty Oppenheimer kraftvoll, aber auch grell klingt und Dilara Bastar mit den (sehr) tiefen Registern der Pasqualita Mühe hat, sind die männlichen Hauptpartien überwiegend vorzüglich. Neben dem eleganten, klaren und flexiblen Edward Teller des Lucas Harbour gilt das vor allem für Gabriel Urrutia Benet, der in der von mir besuchten B-Premiere den Doctor Atomic mit ausdruckvoll markantem und sehr kultiviert und lyrisch geführtem Bariton singt. Er hat die bei weitem stärkste Szene dieses Abends, bei der die Regie dankenswerterweise Pause macht und Urrutia Benet das „Batter my heart“ nach einem Text des elisabethanischen englischen Dichters John Donne ganz vorn auf dem Umgang des Orchestergrabens herzbewegend singt.