Der einzige Zuschauer, der den Künstlerinnen und Künstlern oft blieb in der Pandemie, hatte obendrein nur ein Auge – für die Kamera entstanden Ar-beiten wie „We call it a House“, kreiert vom Team um die Choreografin und Regisseurin Antje Pfundtner, das sie „in Gesellschaft“ nennt, kurz: „APiG“. Wie erleichtert alle waren, dass diese Arbeit nun endlich live gezeigt werden kann, in der Halle 2 der Kampnagelfabrik in Hamburg (wo Pfundtners Gesellschaft seit zwei Jahrzehnten künstlerisch zu Hause ist), war Gesellschafterinnen und Gesellschaftern durchaus anzumerken. Wieder ist ein Stück Normalität möglich geworden auf der Bühne, und Kameras kommen nur noch zum Einsatz, wenn sie Teil vom Konzept sind – und nicht nur Notbehelf.
„We call it a House“ zum Beispiel braucht in der Tat keine: Antje Pfundtners Spiel-Phantasien sind auf den Raum hin konzipiert, auf die Gleichzeitigkeit der Blicke; jeder und jede entscheidet für sich, wer gerade die meiste Faszination ausübt. Die Kampnagel-Halle soll im Übrigen wie eine Art großes Wohnzimmer wirken – ein Sofa, wie jenes, das hinten links auf der Bühne steht, ist auch in eine der Reihen fürs Publikum gebaut. Und für den Platz ganz oben am Regie- und Technik-Tisch ist eine Stehlampe beschafft worden aus dem Fundus. Eine Ahnung von früheren Zeiten ist durchaus gewollt – vor allem als Kontrast.
Raum voller Imagination und Ambition
Wenn’s los geht, schleppen Antje Pfundtner selbst, Juliana Oliveira und Matthew Rogers ganz unspektakulär farbiges Gepäck auf die Bühne. Pfundtner richtet sich links vorne eine Art virtuelle Hängematte ganz in Blau ein und kuschelt sich hinein. Kollegin Oliveira müht sich derweil rechts am Rand mit einem knallgelben Kasten ab, der schwer wie ein Schrankmöbel wirkt. Inzwischen ist Rogers nach links hinten gewandert, hat ein riesiges rotes Tuch dabei und richtet an einem Fabrik-Mast mit Hilfe von starken Baum-Ästen eine Art Steh-Zelt auf. Gekleidet sind die drei in den drei Farben Leben, mit denen markieren sie ihren Teil der Bühne; sogar die Holzpantinen tragen die Farben als Signatur.
Bewegung entsteht: Die Pantinen klappern und lärmen mächtig dank winzig kleiner Trippelschritte, und auch die Figuren kommen einander näher. Aber ihr Zusammen- und Gemeinsam-Sein bleibt fragil – denn der eine zusätzliche Raum auf der Bühne, der das „Haus“ aus dem Stücktitel sein könnte; der Platz im Bild, der allen in der Gesellschaft gehören könnte und vielleicht sollte, bleibt ein rätselhaftes Irgendwas. Eher ist das ein senkrecht gestellter Pappkarton, klapp- und verschiebbar. Um dieses unklare Etwas voll von Imagination, Ambition und Projektion herum entwickelt so etwas wie Spiel.
Wobei Gesellschafterinnen und Gesellschaft auf der Bühne durchaus keine nacherzählbare Fabel beglaubigen; vieles darf wirken wie beiläufig, ja wie zufällig improvisiert. Selten geraten die Figuren in Zusammenhänge und Konstellationen, die tatsächlich choreographiert aussehen. Pfundtner und dem Team „in Gesellschaft“ gelingt ein erstaunlich unangestrengtes Sammelsurium von Spiel- und Bewegungsoptionen, in dem jeder und jede für sich Orientierung suchen muss.
Die Menge der Hilfsmittel ist überschaubar – immerhin ist zum Beispiel zu erfahren, dass Juliana Oliveira aus Portugal kommt und Antje Pfundtner ursprünglich aus Dortmund … aber zu sagen hat das eigentlich nichts. Auch dass Frau Oliveira plötzlich einen Anfall von Ordnungs- und Aufräum-Wut bekommt, nachdem sie vom Kollegen Rogers auf einem Transport-Brett karussellmäßig im Kreis herum geschleudert worden ist und das Rollbrett krachend an der Rampe endete – ins Publikum hinein röhrt sie nun, dass hier endlich mal aufgeräumt werden solle.
Herausforderungen des Zusammenlebens
Der Abend hat viele solcher miniaturisierter Effekte. Hinten rechts stecken auch eine Menge Schalensitze auf einer Schienen-Konstruktion zum Hin- und Herschieben – und natürlich in Gelb, Blau und Rot. Wer mag, kann für ein paar Momente ein bisschen phanta-sieren über die Farb-Konstellationen auf den Bühnen seit der Oskar-Schlemmer-Zeit, und das Fach-Publikum des Tanztheaters wird sicher eine Menge fein sortierter ästhetischer Nachbarschaften entdecken.
Vor allem und immerzu aber sehen wir drei Menschen, die sich trotz aller unübersehbaren Unterschiedlichkeit, schon in den Farben, eine gemeinsame Raum-Welt zu teilen versuchen. Das ist bekanntlich schwer genug.
Schon im Prolog teilt „Antje Pfundtner in Gesellschaft“ die Bühne mit der in Taiwan aufgewachsenen und in Kopenhagen lebenden Musikerin Ying-Hsueh Chen, die offenbar eine Meisterin in vokaler, sprachlicher Klang-Perkussion ist – nur mit der Stimme wird sie zum lebenden Schlagzeug. Zum Beispiel mit ihr (wie auch mit Antje Pfundtners Gesellschaft) gibt’s noch eine Menge zu entdecken im Raum, den wir uns miteinander teilen.