Foto: Olivier Günter, Gabriele Völsch, Katharina Rehn, Markus Voigt, Anjo Czernich, Friederike Serr und Nora Hickler in "Die nicht geregnet werden" am Theater Vorpommern © Peter van Heesen
Text:Gunnar Decker, am 1. April 2023
Die Rede ist von Regentropfen, die nicht mehr auf dem Erdboden ankommen. Sie verdunsten sofort oder treiben in Wolken irgendwohin ab, aber auf diese Stadt regnen sie nicht. Es wird immer trockener und am Ende herrscht Dürre. Nicht nur die Natur dürstet, auch die Menschen. Dann beginnt ein rücksichtsloser Kampf um die schwindende Ressource Wasser, „blaues Gold“ genannt.
In manchen Weltgegenden ist das schon heute Alltag. Denn die Wüste wächst – durch Abholzung und Raubbau. Die Redewendung „sich das Wasser abgraben“ kommt daher: Wer am Oberlauf eines Flusses lebt, nahe an der Quelle, hat nicht nur mehr Wasser, sondern auch die Macht, dieses Wasser denen am Unterlauf vorzuenthalten. Wasser ist nichts, worauf wir verzichten könnten, wie vielleicht irgendwann auf Öl. Denn wir selbst bestehen hauptsächlich aus Wasser. Bevor wir verhungern, verdursten wir!
Darum ist die Wassermetaphorik in Maria Ursprungs „Die nicht geregnet werden“ keineswegs abwegig. Das Stück kam in der Spielzeit 2020/21 am Theater St. Gallen zur Uraufführung und nun am Theater Vorpommern in der Regie Melina von Gagerns zur deutschen Erstaufführung. In Greifswald herrscht ebenfalls großer Mangel: Am Theater wird gebaut. Man spielt in der Stadthalle im Rubenowsaal. Wie lange das Provisorium dauern wird, ob es überhaupt jemals endet, weiß keiner. Es fehlt an vielem, an der Garderobe etwa muss sich jeder Zuschauer selbst bedienen, aber der Wille, dennoch relevante Themen auf die Bühne zu bringen, ist offensichtlich.
Die Ironie will es, dass es draußen regnet und drinnen im Saal Hitze und Dürre die Menschen in den Ausnahmezustand treiben. Das handelnde Personal wedelt sich ständig frische Luft zu, lüftet die Hemden und stöhnt fortwährend: Diese Hitze! Jetzt baden gehen können, wäre eine Wohltat – aber das Freibad schließt als erstes. Denn das Becken ist ohne Wasser. Es gibt doch Wichtigeres, oder? Für die Freibad-Betreiberin (wohltuend markig in einem insgesamt allzu wattig agierenden Ensemble: Gabriele Völsch) gibt es das nicht, jedenfalls nicht im Sommer. Da sei der gehobene Zustand des Menschen doch der des Schwimmers! Inzwischen kann sie jedoch nur Trockenschwimmen anbieten.
Zu viel Botschaft
Hier zeigen sich erste Schwächen des Stücks, die durch die Regie noch verstärkt werden: Man zeigt nicht eine Szenerie, sondern sendet Botschaften, will das Publikum immer irgendwie überreden. Gelegentlich wirkt dies in seiner Kumpanei mit den Zuschauern wie eine Einladung zum Wochenendworkshop in Sachen Wasserschutz-Aktivismus: Tu doch endlich was! Kleb dich auf der Straße fest, dann ändert sich auch etwas – so die Schlussbotschaft des Abends mit Anleihen beim altbekannten Agitproptheater-Fingerzeig: Und Du?
Aber man agitiert auch für das Theater, also für die Kunst. Die Schwimmbadbetreiberin kontert den Einwand der Stadtverwaltung, es gäbe doch wahrlich Wichtigeres als ein Schwimmbad im Sommer, mit dem Hinweis, es sei doch etwas Schönes, was da verloren gehe. Umgehend wird sie abkanzelt: Und sonst gäbe es nichts Schönes? An diese Stelle wird die Aufführung unterbrochen, es heißt: Wiederholen wir die Szene noch einmal und setzen für das Wort Schwimmbad das Wort Theater. Da hat es auch der Letzte begriffen: Da sind Retter am Werk.
„Die nicht geregnet werden“ ähnelt einem anderen forcierten Endzeit-Stück: Falk Richters „Welcome to Paradise Lost“, das Annett Wöhlert im vergangenen Jahr am Theater Freiberg inszenierte. In der Adaption des persischen Versepos von Farid Attar versammeln sich die Vögel zu einer Konferenz, um die vom Untergang bedrohte Welt zu retten. So ähnlich wie die Abende anfangs scheinen, so unterschiedlich sind sie letztlich doch. Richter und Wöhlert nahmen die Botschaft zugunsten der poetischen Form zurück, bei Ursprung und Gagern wird die Botschaft forciert zu Lasten der poetischen Form.
Mehr Überzeugung als Energie
Bei Maria Ursprung wird das handelnde Personal auf ähnlich surreale Weise zusammengesammelt wie bei Richter: die Vögel Goldregenpfeiffer (Nora Hickler) und Kiebitz (Olivier Günter) kommen ebenso vor wie Kamera (Markus Voigt) und Mikrofon (Friederike Serr), oder auch Gartenzaun und Motorrad, die vom ganzen Ensemble gespielt werden. Aber die Tonlage dabei ist immer die gleiche. Der Wirklichkeitsbegriff erweitert sich dadurch in dieser Inszenierung nicht. Es bleibt beim psalmodierenden Ton, den Katharina Rehn in der Doppelrolle von Wolke und Professorin vorgibt.
Hinzu kommt die unklare Symbolik des Bühnenbildes von Theresa Scheitzenhammer, die alles in aprikosenfarbenes Orange taucht. Eine postmoderne Melange, in der Tief- und Flachsinn ineinander fließen, mal mit erhobenen Zeigefinger doziert, mal in raunendem Märchenton dargebracht.
Eine Sitzgruppe in der Bühnenmitte umstellt das, was das Herz dieser Inszenierung sein soll, einer kreisrunden Grotte oder Blase ähnlich, von oben herabhängenden rötlichen Medusenfäden wie ein Vorhang halb verdeckt. Dahinter sammeln sich die Regentropfen zu ihrem Beschwörungschor: „Ines!“ – „Ines“ – „Ines!“ – „Ines! – „Ines“, rufen sie in regelmäßigen Abständen, immer fünf Mal, denn es sind fünf Regentropfen. Aber Ines, eine der Figuren in der Peripherie, kann sie nicht hören. Die Zuschauer vernehmen zwar die Dürre-Botschaft, allein es fehlt dem Abend an künstlerischer Kraft, um wirklich faszinieren zu können.