Foto: Schauspiel-Ensemble des Staatstheater Mainz in "Der staubige Regenbogen" © Andreas Etter
Text:Volker Oesterreich, am 15. Januar 2023
Die ganze Welt ist eine atomar verseuchte Hüpfburg. Sie bläht sich schwer atmend auf, gerät stöhnend in Ekstase und erschlafft am Ende in orgiastischer Agonie und Finsternis. Es hat eine starke Symbolkraft, dieses wabernde Bühnenbild aus amorphen Wülsten und Blasen, das Mirjam Stängel für Rieke Süßkows expressionistisch anmutende Inszenierung von Hans Henny Jahnns Spätwerk „Der staubige Regenbogen“ im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz geschaffen hat. Ein großer Wurf zur rechten Zeit, da sich Die letzte Generation gegen die Klimakatastrophe aufbäumt und alle Alarmglocken schrillen, weil der Kreml-Imperialist Putin in dem von ihm angezettelten Ukraine-Krieg mit dem nuklearen Armageddon droht.
Jahnns literarisches Vermächtnis ist 1959 wenige Monate vor seinem Tod entstanden. Uraufgeführt wurde das sperrige, aber dennoch sprachschöne und voller schillernder Sentenzen steckende Werk erst posthum unter dem Titel „Die Trümmer des Gewissens“, doch „Der staubige Regenbogen“ passt besser zu dieser Dystopie über Wissenschaftler, die mit ihren menschheitsgefährdenden Forschungsergebnissen von verantwortungslosen Mächten missbraucht werden können.
Die Drohung mit einem atomaren Erstschlag, Missbildungen wegen radioaktiver Staubschichten, Gefahren durch skrupellose Experimente, die Warnungen einer sich aufbäumenden jungen Generation, aber auch die Unterdrückung des freien Journalismus, dazu noch das verwirrende Spiel mit den Geschlechteridentitäten – all das unterstreicht Rieke Süßkow in ihrer eigenwilligen, zugleich atmosphärisch dichten Fassung des Jahnn-Stücks. Sie hat viele Passagen neu geordnet und zu einer 80-minütigen Partitur klangvoller Dialoge verdichtet.
Sprechoper mit Stummfilmästhetik
Sicher, die Regisseurin teilt mit dieser Inszenierung viele schwer zu knackende Kopfnüsse aus, aber gerade damit wird sie dem literarischen Nussknacker Hans Henny Jahnn (1894-1959) ausgesprochen gut gerecht. Der Schriftsteller und Orgelbauer träumte von einer kulturellen Erneuerung Europas. Er engagierte sich in den 1950er-Jahren gegen das atomare Wettrüsten, warnte vor Tierversuchen und appellierte an unser ökologisches Verantwortungsbewusstsein. Im „Staubigen Regenbogen“ geschieht dies nie mit mahnendem Zeigefinger, sondern wie im Rausch einer stark elaborierten, zugleich aber kristallklaren Sprachdroge. Jahnns Stück entwickelt einen ganz besonderen Sound, der zusätzlich noch vom minimalistischen Klingklang und Plingplang des Bühnenmusikers Philipp Christoph Mayer flott rhythmisiert wird. Die schnellen Lichtwechsel Carolin Seels treiben das Geschehen ebenfalls voran.
Das zehnköpfige Ensemble wirkt dabei mit seinen zuckenden und ruckenden Bewegungen, mit seinen gespreizten Fingern und den aufgerissenen Augen so, als wäre es geradewegs Stummfilmklassikern wie „Nosferatu“ entsprungen. Die Stimmen der Akteure werden elektronisch verstärkt, wodurch das Ganze erst Recht den Charakter einer von der ersten bis zur letzten Minute exakt durchkomponierten Sprechoper bekommt. Im Mittelpunkt steht der von Andrea Quirbach gespielte Atomforscher Jakob Chervat, der zunächst an seinen Fortschrittsoptimismus glaubt, durch die Warnungen des Journalisten Alexander (Richard Zapf) und den Machtmissbrauch des Konzernlenkers Sarkis (Leandra Enders) aber zunehmend ins Zweifeln gerät.
Am Ende entblättert sich die Truppe bis zu ihren hautfarbenen Bodies – vielleicht in der Hoffnung darauf, in dieser alles andere als paradiesischen Nacktheit als reproduktionsfähige Überlebende in irgendwelchen Atombunkern für den Fortbestand der Menschheit sorgen zu können. Na dann, vermehrt euch mal. Das stöhnend atmende Bühnenbild animiert ja vielleicht dazu.