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Die Ballade vom verlorenen Traum

William Shakespeare: Der Sturm

Theater:Hans Otto Theater, Premiere:18.05.2018Regie:Tobias Wellemeyer

Mit einer dezent selbstreflexiven Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ verabschiedet sich Intendant Tobias Wellemeyer vom Hans Otto Theater in Potsdam.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Im Gegenteil – gerade im Augenblick des Abschieds ist das Vergessen noch fern. Noch, singt Prospero (auf Englisch), könne er die Augen überhaupt nicht abwenden von dem, was war; und auch nicht den Geist. Und dass er nun die Insel schnell verließe, die so lange Refugium war, Zwangsexil und Zauberland für den „rechtmäßigen Herzog von Mailand“, ist auch nicht zu sagen – fürs Erste lässt er alle glücklich Geretteten voraus gehen und sich dann nieder auf der alten Standuhr, die als wunderlicher, aber signifikanter Fremdkörper vor sich hin rottet in der Trümmerlandschaft, die dieses wüste, geschundene Eiland ist. Er wendet sich ab von der Welt… und wer weiß: Vielleicht bleibt er ja doch auf der Insel. Dem gierig-geilen Rüpel-Geist Caliban mag er zwar die Herrschaft zurückgegeben haben über diese Müllhalde – aber sein Schiff wird vielleicht erst noch kommen. Wieder daheim in Mailand jedenfalls, nunmehr als rechtmäßiger Provinz-Potentat, wird sich diesen Prospero kaum jemand ernsthaft vorstellen wollen…

„Der Sturm“, das Stück, das als Shakespeares letztes gilt, passt natürlich immer zum Finale einer Intendanz; wie Tschechows „Kirschgarten“. Während dort die Kettensäge Bäume platt macht, legt hier einer all die Zauberkräfte nieder, die ihn für zwölf Jahre zum Regisseur dieser anderen Welt gemacht haben. Einen Regiestuhl wie beim Kino-Dreh, mit dem Schriftzug „Prospero“ hinten drauf, gibt’s ja in der Materialsammlung von Harald Thors Raum für das Hans-Otto Theater, und auch „Prosperos Theater“ wird beschworen – Tobias Wellemeyer bringt durchaus ein paar Zeichen für den eigenen Abschied unter in der letzten Inszenierung, die er für das Hans-Otto-Theater erarbeitet hat. Eitel aber wirkt das nie, dafür sind die Zeichen ironisch genug gesetzt – aber der Schmerz ist spürbar, der sich unter diesen nicht ganz normalen Wachwechsel mischt. Potsdams Politik hatte den Intendanten ja dezidiert vom Hof gejagt. Bettina Jahnke folgt ihm nun; sie und der Vorgänger kennen einander gut, und er wird ihr schon ein paar praktische Ratschläge geben für den Umgang mit den kleinen Königinnen und Königen in landeshauptstädtischer Provinz.

Wie viele praktizierende Künstlerinnen und Künstler sieht auch Wellemeyer im „Sturm“ das Theater selbst als Traum-Raum in Gefahr; nicht mehr viel ist erlaubt (oder finanzierbar), wo doch noch immer alles möglich wäre. Da steht zunächst ein Zelt in der Müll-Wüste, auf dessen Wänden sich der Schiffsuntergang per Video ereignet: als Alptraum von Prosperos Tochter Miranda. Historisch kostümiert (und, wie der kluge alte Gonzalo bemerkt, kein bisschen durchweicht) sind die hohen Herren an Land gespült worden; Prospero sieht derweil aus wie ein Überlebender der Cordjacken-Zeit – sein Herrschaftszeichen ist eine Baskenmütze. Und wenn der alte Gonzalo mit Montaigne sehr pointiert vom „Goldenen Zeitalter“ machtloser Naturverbundenheit phantasiert, wird Wellemeyers Richtung überdeutlich – hier wird die Ballade von den verlorenen Träumen gesungen.

Das ist sogar wörtlich gemeint – speziell Bernd Geiling (der sich nach der Zeit in Hannover in Potsdam zum wirklich starken Protagonisten wandelte, hier als Prospero) stimmt grandiose Crooner-Töne an zur Live-Gitarre von Marc Eisenschink, Michael Schrodt als weiß-berockter Luftgeist Ariel folgt ihm auch musikalisch. Mit Eddie Irle (und dank Frank-Patrick Steckel ruppig-kluger Übersetzung) hat die Aufführung einen derb erotisierten Caliban; mit den Clowns Stephano und Trinculo auf Sauftour, landet er kurz vor dem versöhnenden Finale in der örtlichen Gülle-Grube. Aus der Gruppe der gestrandeten Herrscher sticht Jon-Kaare Koppe als lieblich-greiser Gonzalo hervor, Juliane Götz und Frédéric Brossier als Miranda und Ferdinand sind in dieser Welt sozusagen „Die Liebenden vom Pont neuf“ … und der grundsätzlich eher melancholische Charakter des Abends bricht sich eigentlich nur an den drei Astronauten, die Wellemeyer ins Spiel schickt, um ein nicht sehr mitreißendes mystisches Video unter Yin-und-Yang-Signet hervorzuzaubern aus einem von Prosperos Büchern.

Zuweilen also übernimmt und verrennt sich die Inszenierung – findet aber in Thors Raum, der Welle ist und Schiffswrack zugleich (und noch vieles mehr), immer wieder das Zentrum: im Abschied vom eigenen Ich. Ohne wirklich zu wissen, wohin die Reise nun geht – das Publikum aber darf noch einmal zur Kenntnis nehmen, was für einen starken Regie-Intendanten das Potsdamer Hans-Otto-Theater gehabt hat, neun Jahre lang.