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Deutschland sucht den Superflüchtling

Søren Nils Eichberg: Schönerland

Theater:Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Premiere:16.09.2017 (UA)Regie:Johanna WehnerMusikalische Leitung:Albert Horne

Am Hessischen Staatstheater Wiesbaden hatte eine Oper über das Elend der Flüchtlinge Uraufführung: „Schönerland“ von Søren Nils Eichberg.

Männer und Frauen belagern, Koffer und Rucksäcke schleppend, die Wiesbadener Bühne. Mal im Chor-Kollektiv, mal als Solisten besingen sie ihre Hoffnungen auf ein „Schönerland“, wo es Frieden und Arbeit gibt. Noch ist in Wiesbaden allerdings gar nichts „schön“. Bühnenbildner Volker Hintermeier hat die Bühne in zwei Etagen unterteilt: Oben lauter Schiffscontainer, die auf menschliche Fracht warten. Unten Eisengerüste, die einen riesigen Füll-Trichter umringen. Eine imposant passende Szenerie für die Flüchtlings-Choristen: Mal irren sie unten zwischen den Gerüsten umher wie an Europas Grenzzäunen, mal verschwinden sie oben in den Containern – mal versuchen sie, verzweifelt Halt suchend, den großen Trichter zu erklimmen.

Unter den Flüchtlingen sind Figuren mit sprechenden Namen: Saida, was auf arabisch „Die Glückliche“ heißt, oder Dariush, was „Das Gute festhalten“ bedeutet, singen über ihre Traumata und Träume – und die Sopranistin Eleni Calenos und der Tenor Aaron Cawley leihen ihnen ihre kraftvoll-runden Schönklangstimmen dazu. Einen durchschlagkräftigen Kontrapunkt setzt Andrea Baker in der Rolle als Kader beziehungsweise „Schicksal“: Mit warnenden Unkenrufen vor den Fremdenfeinden bringt sie die Heimatsuchenden immer wieder zur Raison.

Seit zweieinhalb Jahren hält uns die sogenannte „Flüchtlingskrise“ in Atem. Es wird rauf und runter diskutiert – und auch die Kulturszene hat sich schon auf verschiedene Art und Weise mit dem Dauerthema auseinandergesetzt: sei es in Form von Theaterstücken, Education-Projekten, Ausstellungen oder diverser Flüchtlingsorchester. Auch dem deutsch-dänischen Komponisten Søren Nils Eichberg hat das Flüchtlingsdrama keine  Ruhe gelassen. Gemeinsam mit der Regisseurin Johanna Wehner hat er nun am Staatstheater Wiesbaden eine neue Oper auf die Bühne gebracht: „Schönerland“ heißt sie. Am Samstag war die Uraufführung.

Eichberg, Jahrgang 1973, kennt es aus der eigenen Familiengeschichte, dass Flüchtlinge nicht willkommen sind. Denn seine Großeltern mussten während des Zweiten Weltkrieges aus dem Osten fliehen. Aus dieser Zeit stammt dann auch ein deutsches Schmähgedicht auf die damals deutschen Flüchtlinge, das in Wiesbaden wiederum von einem echten syrischen Flüchtling rezitiert wird: Der Schauspieler Feras Zarka darf später auch noch Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ vortragen – in einer Art Casting-Situation: Denn immer wieder treten in der Oper „Schönerland“ ein Komponist, eine Librettistin und ein Intendant auf. Die wollen eine neue Oper schaffen zum Thema „Flucht“ und suchen nach Darstellern – und nach Inspirationsquellen. Auf der Suche nach einer „Story“ für ihre Oper nimmt die Librettistin, hilflos stotternd gesungen von der wunderbaren Britta Stallmeister, zögerlich Kontakt zu den Flüchtlingen, zum „lebenden Objekt“ auf.

Søren Nils Eichberg, seine Librettistin Therese Schmidt und Regisseurin Johanna Wehner haben sich in den Opernfiguren sozusagen selbst auf die Bühne gestellt und eine klassische „Theater im Theater“-Situation geschaffen: Der ursprüngliche Flüchtlingschor mutiert zwischendurch immer mal wieder zum ganz normalen Wiesbadener Opernchor, der sich „casten“ lässt für die geplante Flüchtlingsoper – und dessen Mitglieder dabei posieren wie die Topmodels. Die Erzählebenen vermischen sich; denn ähnlich und doch ganz anders dürfte es auch den „echten“ Flüchtlingen da draußen ergehen: Wie mache ich vor den Schleppern besonders gute Figur, die hier, schwarz getarnt, auch irgendwann auf der Bühne auftauchen und ihre „Ware“ auswählen? Wer ist der nützlichere Flüchtling fürs „Schönerland“?

Wo es bei den Opernchoristen „nur“ um einen Job geht, geht es für die echten Flüchtlinge um Leben und Tod. So arbeitet sich Søren Nils Eichberg in zehn Bildern an dem Zynismus des Themas „Flucht“ ab. Er schafft eine packende Klangsprache dazu, die irgendwo zwischen abstrakten Mehrklängen, klassischer Fuge und poppigen Rhythmen angesiedelt ist. Und das Hessische Staatsorchester Wiesbaden bringt das alles unter Dirigent Albert Horne wunderbar flexibel zur Hörsicht. Orientalische Melismen hat Søren Nils Eichberg bewusst vermieden: Die Utopie vom „Schönerland“, die irgendwann in Gestalt einer feuchtfröhlichen Oktoberfestgesellschaft in Trachten und Lederhosen auf der Bühne steht, klingt nach bayrischem Ländler.

Mit ironischen Brechungen und der „Theater im Theater“-Konzeption hält sich Søren Nils Eichberg das Thema „Flucht“  zugleich ganz bewusst auch vom Leib. In der Figur der hilflos daherstotternden Librettistin spiegelt sich die allgemeine Sprachlosigkeit wieder, die uns alle befällt, wenn wir über Flüchtlinge diskutieren. Aus der Oper über das Thema Flucht wird also eine Oper über unsere Hilflosigkeit gegenüber dem Thema Flucht. Was bisweilen etwas banal und redundant wirkt, ist so gesehen also die ehrlichere Wahl.

Nächste Vorstellung am Staatstheater Wiesbaden: 29. September, 3. Oktober.