Foto: Szene aus Claudia Bauers „Ubu“-Inszenierung am Schauspiel Leipzig: Roman Kanonik als Ubu mit Diana Labrenz, Friedrich Rau, Daniel Barke, Denis Petkovic, Maike Lindemann, Max Hubacher, Wenzel Banneyer, Florian Steffens und Julia Preuß. © Rolf Arnold
Text:Anne Fritsch, am 28. Januar 2018
Am Schauspiel Leipzig kombiniert Claudia Bauer die „Ubu“-Stücke von Alfred Jarry und Simon Stephens.
Er ist dumm, primitiv und vulgär. Und er ist an der Macht. „König Ubu“, die Titelfigur von Alfred Jarrys berühmtesten Stück, hat wenig anderes im Kopf, als den lieben langen Tag „Merde!“ beziehungsweise „Scheiße!“ zu brüllen. Der Text war ursprünglich eine Persiflage auf Jarrys Phyiklehrer, später dann ausgearbeitet zum Drama über einen dumpfen Gewaltherrscher. Weil es dumpfe Herren nun immer wieder an die Macht schaffen (nicht immer durch Königsmord, manches Mal auch ganz legal), hält sich der Text seit seiner Uraufführung 1896 im Repertoire der Theater.
Claudia Bauer inszenierte das Drama jetzt am Schauspiel Leipzig und bettet es ein in ein Stück von Simon Stephens: „Ubus Prozess“. Stephens Text ist gewissermaßen der Nachklang des Originals, er schildert den Prozess, der Ubu vor einem internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht wird. Während Stephens sein Stück direkt nach dem Original gespielt wissen wollte, bettet Bauer Jarrys Stück in die Gerichtsverhandlung ein wie eine Rückblende, ein Stück im Stück.
In einem Raum aus geschwungenen Wänden mit goldener Brokattapete (Bühne: Andreas Auerbach) verliest ein Klavierspieler die Anklageschrift. In einem Kasten auf Stelzen sitzt der nackte Ubu, eine Videokamera holt sein Gesicht in Großaufnahme auf die Gaze-Hülle. In einer Endlosschleife werden die Vorwürfe gegen den Tyrannen sachlich vorgetragen. Der zeigt keine Regung, bis er irgendwann sein initiales „Scheiße!“ brüllt – der Auftakt für das Stück von Jarry. Nun entern die in rosa Taft gehüllten Lakaien die Bühne. Vanessa Rust hat die Schauspieler in Kostüme gesteckt, die keinen Zweifel an ihrer Primitivität lassen. Ein Alptraum in Rosé. Wie Lady Macbeth stiftet Mutter Ubu ihren unbeholfenen Mann zum Königsmord an. Julia Preuß spielt sie wie eine der Marionetten, für die Jarry das Stück ursprünglich schrieb: Sie bewegt sich unnatürlich, beugt sich ruckartig nach vorne, um mit stolpernden Schritten durch den Raum zu schreiten. Wie ferngesteuert, ohne Skrupel und Hirn verfolgt sie ihre Ziele: Macht um des Luxus willen. Um jeden Preis.
Roman Kanoniks Ubu ist so dumpf, dass er gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Vielleicht interessiert es ihn aber auch einfach nicht. Bis er plötzlich bemerkt, dass er an der Macht ist – und Gefallen daran findet, willkürlich über Leben und Tod seiner Untertanen zu entscheiden. Das Massaker wird zur Bestätigung seiner Macht, an die er selbst noch nicht so recht glauben kann. Ein Befehl, und die lästigen Finanzbeamten, Juristen, Lügenpresse: alle in der Versenkung verschwunden, und das Selbstbewusstsein des Diktators gestärkt. Selbst macht er sich nicht die Hände schmutzig, er gibt nur die Befehle. Ein moderner Usurpator.
Claudia Bauer setzt in ihrer Inszenierung voll auf die Schamlosigkeit dieses Ubu, der im rosa Tutu durchs Parlament tanzt, der schon mal auf den Servierteller scheißt und seinen Hofstaat mit der Klobürste füttert. Dieser Ubu hat nur sein Ego – und eine gierige Frau. Lächerlich wäre er, wenn er ohne Macht wäre. So aber, da der Höfling an der Bürste lecken muss, wird Ubu gefährlich. Er greift nach der Macht um der Macht willen, ohne Plan, ohne Vision. „Das Einfache hat jetzt die Macht, jeden zu zerstören, der nicht gleich ist“, bringt die ehemalige Königin es auf den Punkt. „Die Zeit der Auflösung ist gekommen.“ Wie jeder schlechte Herrscher regiert auch Ubu mit Zuckerbrot und Peitsche, verteilt Torten ans Volk/Publikum, bis die Dekadenz siegt und er die Torten lieber seinem Hofstaat ins Gesicht wirft. Dekrete unterzeichnet er mit der Klobürste, ganz im Sinne seines Mottos: Moral, Werte, Politik, Konsens – Scheiß drauf! Wenn er schließlich in den Krieg zieht, mit einem Heer in Ledermänteln und Plateauschuhen, dann wirkt das wie eine expressionistische Karikatur.
Claudia Bauer findet treffende und starke Bilder für die Mechanismen der Willkürherrschaft, die hie und da in ihrer Überzeichnung übers Ziel hinausschießen, die aber dennoch ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Sie tut gut daran, optisch keine Parallelen zu ziehen zu den dummdreisten Machtmännern unserer Tage, die Transferleistung ist ohnehin keine große Herausforderung. Denn all das Gezeigte scheint dieser Tage nicht mehr ganz so dadaistisch-weltverfremdend, Ubu ist längst in der Realität angekommen.
Am Ende kehrt die Inszenierung zurück an ihren Anfang, in die Gerichtsverhandlung. Hier, in die Enge getrieben, wird Ubu plötzlich ganz klar. Er weist alle Schuld von sich, er habe nie jemanden umgebracht. Claudia Bauer verwendet nur wenige Ausschnitte aus Simon Stephens Text, aber sie tut es wirkungsvoll. Die Verhandlung bietet einen Rahmen, eine Einordnung des Geschehens. Und die Hoffnung, dass die Gerechtigkeit doch eine Chance hat. Mehr als die Hoffnung aber gönnt Bauer ihrem Publikum nicht. Der Abend endet, wie er begonnen hat: Die Anklage wird verlesen, der Vorhang fällt. Ruhe. Alle Fragen offen. Fast wie im richtigen Leben.