Eigenwilliges Sicherheitstraining: "Crash & Care" am Theater Aalen

Der Tod sitzt nebenan

O-Team, Florian Feisel: Crash & Care

Theater:Theater Aalen, Premiere:19.09.2020 (UA)Regie:Florian Feisel

Das Auto scheint immer sicherer zu werden. Die SUV-Gemeinschaft fährt im Bewusstsein, dass ihnen nichts geschehen kann. Oder doch? Sensoren gaukeln eine hohe Sicherheit vor. In der „posthumanistischen Technikgesellschaft“ (Begriff aus dem Programmflyer) übernehmen Crash-Test-Dummies das Sicherheitstraining, je genauer die Messinstrumente kalibriert sind, umso mehr lassen sich später in der Praxis Verletzungen, gar Todesfälle vermeiden. Möglicherweise. Zumindest scheint der Glaube an die Unverletzlichkeit in der Autofahrergemeinde immens hoch, das Risiko immer mehr verdrängt.

Für das Theater scheint so ein Thema zunächst einmal abwegig, aber wenn man es mit der Frage der Sichtbarkeit des Todes in unserer Gesellschaft verbindet und es als „Live-Hörspiel-Performance“ performt, wird es spannend. Zumal, wenn sich mit Hilfe des Fonds „Doppelpass“ der Kulturstiftung des Bundes so eigenwillige Akteure wie das freie Theaterkollektiv O-Team aus Stuttgart, das Theater HochX aus München und das Theater der Stadt Aalen zu einer Produktionsgemeinschaft zusammenfinden und dazu noch den renommierten Figuren- und Objektspieler Florian Feisel als Regisseur holen. „Crash & Care – Ein Sicherheitstraining“ beginnt als Walk-Act auf der Straße. Eine Stimme führt per Kopfhörer die zehn TeilnehmerInnen zunächst an eine vielbefahrene Straße, dann durch einen Eisenbahntunnel zum neuen Aalener Kulturbahnhof. Die Zuschauer laufen nicht einfach mit, sondern werden immer wieder zu Übungen der Wahrnehmung angehalten, die sowohl auf die eigene Körperlichkeit, als auch auf das Gruppenbewusstsein zielen, so dass relativ schnell eine große Konzentration entsteht.

Auf dem Vorhof des noch im Bau befindlichen Kulturbahnhofs steht ein verhülltes Objekt, das sich, von zwei Mitspielern – eigentlich verwandeln sich bei diesem Projekt die Zuschauer zu Mitspielern – enthüllt, als Autowrack, als verunfallter Audi entpuppt. Zwei weitere Teilnehmer werden gebeten, auf dem Fahrer- und Mitfahrersitz Platz zu nehmen und beispielsweise den Kopf auf das Lenkrad zu legen. Verblüffend, welche Bilder vom Aufprall im Kopf des Betrachters entstehen! Nun erst wird die Stimme im Kopfhörer verkörpert: Der Schauspieler Folkert Dücker vom Theater O, der in die Rolle eines Sicherheitsingenieurs schlüpft, führt zu den noch nicht fertiggestellten Theaterräumen, zunächst wohl in das künftige Foyer. Dort erzählt er von seinen Träumen, einmal Cello-Spieler zu werden. Dazu erklingt Bachs „Komm süßer Tod“ (Musikauswahl: Barbara Borgir). Im ersten Stock wird man in einen Raum geführt, in dem an einer Leine Torsi einer Dummypuppe hängen, Kopf, Brust, Unterleib mit Beinen. Dücker setzt diese Puppe nicht nur zusammen, sondern kalibriert diese auch, dann werden der Maske gelbe Striche hinzugefügt. Sodann wird diese auf einer Bahre davongetragen.

Am Ende dann sitzt das Publikum im Stuhlkreis. Die gelben Linien auf der Maske werden abgeschminkt. Im Dunkel kreist ein Spot, tastet die Zuschauer ab und da sitzt dann die Dummypuppe ohne Maske: der Tod. Eine ganz starke Szene, die vermittelt, der Tod gehört zum Leben, er ist wie mein Nachbar. Im Raum herrscht eine Konzentration, die im Alltag nicht anzutreffen ist. Hier wirkt die Magie des Theaters. Auch, wenn Folker Dückert noch einen quasi-philosophischen Text abliest, den es nicht zwangsläufig gebraucht hätte; die konzentrierte Stille war (mir) wichtiger. Florian Feisel ist die Sensibilisierung der Wahrnehmung gelungen, wie auch das Mitspielen ganz unaufdringlich zu einem selbstverständlichen Vorgang wird, wie man es leider selten erlebt. Robin Burkhardt und Samuel Hof haben für die eindringliche Performance die Installationen geschaffen. Bleibt nur angesichts des Bauzustands der neuen Theaterräume zu hoffen, dass das Theater Aalen deren Eröffnung am 2.10. feiern kann.