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Der selbstverständliche Seitensprung

Florian Zeller: Die Wahrheit

Theater:St. Pauli Theater Hamburg, Premiere:14.02.2011 (UA)Regie:Ulrich Waller

Ein Paar im Hotelbett. Sie sucht noch den tieferen Sinn ihres Seitensprungs („Ich liebe es, mit Dir Liebe zu machen“), da sucht er schon nichts mehr als seine Socken. Denn er muss zur Konferenz, der Sex fand in der Arbeitspause statt. So beginnen gemeinhin Boulevardkomödien, die mit der scheinbaren Frivolität sexueller Untreue das wohlig irritierte Einverständnis des Publikums bedienen. Wenn dann noch zwei befreundete Paare miteinander spielen und die Männer beste Freunde sind, scheint das Konstrukt so konventionell wie klar. Doch der 1979 in Paris geborene Florian Zeller, der drei preisgekrönte Romane und fünf hoch gelobte Stücke geschrieben hat, fügt dem Titel seines letzten Stücks „Die Wahrheit“ hinzu: „oder Von den Vorteilen, sie zu verschweigen, und den Nachteilen, sie zu sagen.“

Es geht Zeller weniger um eine Analyse von bürgerlicher Moral und gesellschaftlichen Verhaltensweisen, wie sie Yasmina Reza in ihren besten Stücken liefert, sondern um eine Versuchsanordnung, bei der der Seitensprung als etwas Selbstverständliches und dessen Eingeständnis wie dessen Verschweigen gleichermaßen als Zeichen des Respekts gegenüber dem Partner gesehen werden können. Auch wenn Zeller Voltaire zur Lüge zitiert, ist dies aber kein philosophisch tiefschürfendes Stück, sondern eine sprachlich funkelnde, brillante Komödien- und Pointenmaschine. Wie hier die überkreuz seitenspringenden vier Eheleute ihre Moral („Ich belüge ihn aus Respekt, die Leute haben doch keine Moral mehr“) in der Verteidigungsstrategie des Lügens nutzen, wie einer der Männer, aus der Unsicherheit heraus, seine Geliebte habe ihrem Mann alles gebeichtet, von seinem Freund und seiner Frau in die Unsicherheit über eine mögliche Affäre der beiden getrieben wird, das ist, weil sich die Situationen immer wieder unvorhergesehen völlig drehen, von enormer intellektueller Eleganz und komplizierter Einfachheit.

Ulrich Waller führt bei der deutschen Erstaufführung ein wunderbares Schauspielerquartett sicher durch die dramaturgisch dramatischen Spannungswallungen. Leslie Malton, Thomas Heinze, Johanna Christine Gehlen und Herbert Knaup spielen die paradoxen Wechsel in den Situationen und Argumentationen glänzend aus. Vor allem Herbert Knaup brilliert, wenn er seine Figur aus souveräner Selbstsicherheit durch Begriffsstutzigkeit in herrlich komische Verzweiflung und Empörung gelangen lässt. Selten bei einem letztlich so banalen Thema auf so hohem Niveau gelacht.