Hinten: Johannes Harneit; Mitglieder des Chors der Hamburgischen Staatsoper; Mitte: Marc Bruce und Ida Aldrian

In der Hölle gibt es Schnittchen

Johannes Harneit: IchundIch

Theater:Staatsoper Hamburg, Premiere:03.11.2019 (UA)Regie:Christian von Treskow

Verstörend, die drei riesigen zerfurchten Gesichter, die von der äußeren Projektionsrotunde herabschauen. Die bewegte Computeranimation stellt die biblischen Könige Saul, David und Salomo dar. Die Dichterin kündigt derweil die Generalprobe ihres Stücks an, Faust und Mephisto erscheinen auf der kreisförmigen Galerie, die die auf Klötzen sitzenden Zuschauer umgibt, und von der vier Schneisen zur kleinen Aktionsfläche im Zentrum führen. Man ist umgeben von Gesang und Instrumentenklängen – und von einem Bedeutungswirrwarr, das sich im Kopf kaum sinnhaft ordnen lässt.

Komponist Johannes Harneit bewies Mut mit der Auswahl des Stoffes für seine neue Oper. Nicht nur ist das letzte Theaterstück „IchundIch“ der 1945 verstorbenen Dichterin Else Lasker-Schüler Fragment geblieben, es gab wegen seiner schweren inhaltlichen Durchdringung auch Mutmaßungen Raum, die Autorin habe es im Zustand ihres geistigen Verfalls geschrieben. Dass sie ihr gespaltenes Ich, vermittelt über die Figur der Dichterin als Faust und Mephisto, in das Stück hineinschrieb, liegt auf der Hand. Dass sie mit diesen personifizierten „zwei Seelen in ihrer Brust“ an die damalige Weltgeschichte anknüpfte, indem sie mit Göhring, Göbbels und Hitler drei (absichtlich falsch buchstabierte) Nazischergen in Goethes „Höllengrund“ hinabzieht, ist eine von mehreren verwegenen thematischen Verquickungen, die auch für Librettistin Lis Arends und Regisseur Christian von Treskow zur Herausforderung werden.

Mit seinen Musikern, die erhöht außerhalb der Rotunde sitzen, breitet Komponist Harneit bei der Uraufführung auf der Probebühne 1 der Hamburgischen Staatsoper jenen subtil geknüpften Klangteppich aus, auf dem die sieben Sänger und der Chor sich bemühen, das riesige Textkonvolut in den Griff zu bekommen. Das gelingt Mezzosopranistin Gabriele Rossmanith als Dichterin ebenso vortrefflich wie Daniel Kluge als Faust und Jóhann Kristinsson als Mephisto, während auch Ida Aldrian als Marte Schwertlein, Hellen Kwan als Vogelscheuche sowie die anderen Sänger stimmlich fest im Sattel sitzen. Der Zuhörer jedoch ist mit der eilig vorbeirauschenden Textmenge, bei der keine musikalischen Verschnaufpausen vorgesehen sind, ebenso überfordert wie mit dessen zerfasernder Sinnhaftigkeit.

Harneit selbst mimt vom Pult aus den Regisseur Max Reinhardt, der gelegentlich ins Geschehen eingreift, Szenen wiederholen lässt und den Mephisto-Darsteller austauscht. Auch die Ankunft der Naziführer in der Hölle, bei der dem Publikum Schnittchen angeboten werden, gehört zu jenen kurzen launigen Einschüben, die den zweistündigen Abend als Ganzes leider auch nicht leichter verdaulich machen.

Was man am Ende erinnert: eine Autorin, die ihren Schuldkomplex bearbeitet, ein Gruppe Nazis, die den Teufel als Geschäftspartner unterschätzt und dafür bezahlen muss, ein silberner Gott Baal, der als lebendes Exponat in der Bühnenmitte irgendwie auch noch dazugehören will, und eine Musik, die daran scheitert, einen Text bändigen zu wollen, der wohl nicht ohne Grund so selten seinen Weg auf die Bühne findet.