Es ist das zweite Premierenwochenende an den Münchner Kammerspielen unter der neuen Intendantin Barbara Mundel. Und es startet mit einem großen Spektakel zwischen Schauspiel und Puppenspiel. Jan-Christoph Gockel inszeniert „Eine Jugend in Deutschland“ nach dem 1933 erschienenen Roman von Ernst Toller. Doch eigentlich inszeniert er noch viel mehr: Er verwebt die Autobiographie des Autors mit seinen dramatischen Werken, mit „Hinkemann“, „No more peace“, „Masse Mensch“ und „Hoppla, wir leben!“ sowie der Perspektive auf die Gegenwart. Biographisches, Historisches und Dramatisches vermengen sich zu einem Panorama Deutschlands im vergangenen Jahrhundert. Aus einer Jugend in Deutschland wird das Leben einer ganzen Generation in Deutschland.
Das ist freilich viel Stoff. Und Gockel begegnet ihm mit einem Viel an Formen. Wie eine Serie unterteilt er den Abend in sechs Folgen: „Blick heute“, „No more peace“, „Toller und sein Hinkemann“, „Räterepublik“, „Ein Stück Masse“ und „Hoppla wir leben!“. Den Anfang macht Walter Hess. Im schwarzen Trainingsanzug, dem Grundkostüm aller Spieler*innen, tritt er auf die Bühne und erzählt, wie er, der Altgewordene, auf sein Leben zurückschaut. Wie er eine Art „Recherche des eigenen Lebens“ betreibt, sein Leben rückblickend noch einmal liest: „Wie bei einem Stück sieht man den Anfang anders, wenn man das Ende kennt.“ Er ist Ernst Toller, der sein Leben und sein Schaffen in einer Retrospektive noch einmal vorüberziehen lässt. Den Anfang macht eine Schulklasse voller Puppenkinder, die bald Stahlhelme aufhaben und in den Ersten Weltkrieg ziehen werden. Viele von ihnen werden an der Front zerfetzt werden. Martin Weigel, der den jungen Toller spielt, wird sich die abgerissenen Puppenteile an den Körper haften wie eine Erinnerung, die er nie wieder los wird. Gro Swantje Kohlhof wird – wie in Tollers „No more peace“ – als Napoleon mit dem Heiligen Franziskus von Assisi, gespielt von Bekim Latifi, eine faustische Wette eingehen: Ist sich ein guter Mann in seinem dunklen Drange des rechten Weges nun bewusst? Oder wird er doch zum Kriegstreiber? Toller jedenfalls wird nach seinem Fronteinsatz schwören, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen, wird für die Republik kämpfen. Guter Mann.