Foto: Ein schwarzes Loch im Bauch? Das beschäftigt das Mädchen Joni (Lisa Bräuniger, Mitte). © Minz & Kunst
Text:Manfred Jahnke, am 2. November 2019
Joni entdeckt, dass sie ein schwarzes Loch in ihrem Bauch hat, Energie, die sich immer mehr verdichtet, bis… Der Norweger Kristofer Blindheim Grønskag beschreibt in seinem Stück „Satelliten am Nachthimmel“, mit dem baden-württembergischen Jugendtheaterpreis 2018 ausgezeichnet, die Situation eines jungen Mädchens, das sich verlassen fühlt, von den Eltern, von der Welt; sie hat zwar einen Verbündeten, den jüngeren Bruder, braucht aber, weil diese Welt sie einengt, Freiheit. Den Weltraum zum Beispiel. In der Inszenierung der jungen Regisseurin Carina Eberle am Theater im Marienbad in Freiburg tritt Joni gleich am Anfang auf. Sie steht auf einem runden Podest, das ihre Welt ist, mit einer durchsichtigen Weltraumhaube über dem Kopf und total verkabelt. In diesem räumlichen Ambiente derart ausgestellt (Ausstattung: Karen Simon), werden die Mitspielerinnen und Mitspieler, die zumeist am Rand sitzen und nur, wenn sie unmittelbar mit Joni zu tun haben, auf dem runden Podest oder davor agieren, zu bloßen Stichwortgebern.
Lisa Bräuniger spielt die Joni als manchmal aufmüpfiges, aber meist als fragendes Mädchen. Das gibt der Figur eine philosophische Dimension. Aber, was treibt Joni wirklich um? Eine Stärke des Textes ist es, das Geheimnis um Joni nicht aufzulösen, sondern in einer vielschichtigen Poesie aufzuheben. Ob sie vielleicht eine Autistin ist, das spielt in diesem Text keine Rolle: Da ist nur ein Mädchen, das sich mit dem Weltraum in eins fühlt – und doch zu implodieren droht, wenn nicht… Weil der Autor nicht beschreibt, was über die Eltern-Kind-Situation hinaus eigentlich Joni dazu bringt, das schwarze Loch im Bauch zu spüren, wird es für jede Rollengestaltung schwierig, dafür einen Ausdruck zu finden. Lisa Bräuniger erspielt sich diese Figur zurückhaltend, sie ist mehr die Staunende, die zugleich ihre Umwelt herausfordert. Dabei gelingt es ihr auf überzeugende Weise, das grundsätzliche existentielle Leiden ihrer Figur an der Welt darzustellen.
Natürlich ist Joni die Mittelpunktfigur: ihre Geschichte steht im Zentrum der Aufführung. Dennoch muss man es als problematisch empfinden, dass alle anderen Figuren in der Inszenierung von Carina Eberle zu Stichwortgebern werden, die vom Rande her, von den einstigen Schwimmbadrändern – bekanntlich war das Marienbad ein Hallenbad – agieren. Vor ihren Auftritten müssen sie sich erst Richtung Rundpodest in der Bühnenmitte bewegen, ohne dass deren Motiv überhaupt immer sinnfällig würde. Wo die Konturen von Rollen annähernd deutlich werden, ist das nicht von so großer Bedeutung: Christoph Müller als Vater, der verstehen möchte, was mit seiner Tochter abläuft, oder Daniela Mohr als fürsorgliche Mutter, die sich nicht in die Welt ihrer Tochter hineindenken kann, entwickeln ganz klare Rollenbilder. Die Umsetzung der Figur des Bruders überrascht: Im Text trotz seiner Naivität als sehr stark gezeichnet, wird Benedikt Thönes in der Inszenierung erst zum Schluss hin stark, wenn er sich gegen seine Schwester lehnt und dadurch das schwarze Loch im Bauch seiner Schwester entschwindet.
Eine der großen Qualitäten der Freiburger Marienbader ist ihr Ensemblespiel. Das gilt auch für das neu formierte Ensemble, das sich nun erstmals als Ganzes in „Satelliten am Nachthimmel“ vorstellt, wozu auch Nadine Werner gehört. Heiner Bomhard unterstreicht mit seinen Kompositionen und Sounddesigns die Weltraum-Atmosphäre.