Viele Freundinnen und Freunde, Weggefährtinnen und Weggefährten des Regisseurs, auch Fans aus Freiburger, Stuttgarter, Frankfurter, Bochumer oder Leipziger Zeiten, sind an diesem Abend in Berlin dabei. Wo immer Kruse, der ewige Hippie, dauerhaft gearbeitet hat, ist um ihn herum eine Art Gemeinde entstanden. Das gelingt nicht vielen, Menschen wie diesen Einzelgänger aus Hamburg-Bramfeld gab es selten im deutschsprachigen Theaterraum. Mittlerweile wirkt er wie einer der letzten Mohikaner. Und wie es oft so ist bei Stil-Stiftern wie diesem (oder wie bei Robert Wilson, Christoph Marthaler oder Frank Castorf), nimmt die Gemeinde auch Wiederholsamkeit und Vorhersehbares in Kauf. Kruses eigen- und einzigartiger Stil bewegt sich immer im eigenen Kosmos und von dort aus auf die Stücke zu, um ihnen dann in furioser Detailvernarrtheit das Spinnennetz aus Zeichen und Texten überzuwerfen.
Zu diesem Stil gehört die Behandlung der Sprache – Kruse gewichtet sie gegen die eigentliche Bedeutung, meist noch fundamentaler als hier bei Horváth „Kleine Worte“, Konjunktionen, Präpositionen: All das ist Kruse wichtig, was wir kaum beachten im Alltags-Sprech. Das klingt oft sehr affektiert und an langen Haaren herbeigezerrt – bei Horváth, dem Sprach-Verknapper, ist dieser Effekt aber sinnvoller und erhellender als sonst. Hier steht ohnehin kaum ein Wort im Text, das nicht mindestens einen Doppel-Sinn hätte, gern auch mehrere Bedeutungen. Und auch die berühmten, in den Text geschriebenen Pausen funktionieren in Kruses Manier viel interessanter – er pflegt sie in die Sätze selber ein. Und dass etwa Verneinungen oft angehängt werden bei Horváth, ist für Kruse eine Steilvorlage – „Ich sehe Dich <Pause> nicht.“
So schärft der Regisseur den Text intern, obwohl er auch vor überdrehten Wortspielereien nicht zurückschreckt. Und der Wörtersee wird für den Blick von außen wie immer auch zum Wimmelbild: eine Litfass-Säule auf Bernd Damowskis Bühne verweist auf „Körperwelten“ wie Gunther von Hagens (weil ja auch Elisabeth in aussichtsloser Lage den eigenen Körper der Anatomie verkaufen will zu Beginn). Und über zahllosen Rumsteherchen im ewigen Halbdunkel thront wieder ein Globus in Jürgen Kruses Welttheater. Aber nichts steht, liegt und hängt hier grundlos herum. Exquisiter Musikgeschmack kommt hinzu, diesmal stark konzentriert auf Uralt-Schlager, die die Beziehungsunfähigkeit aufnimmt in Horváths Gesellschaftspanorama fundamentaler Verarmung. Tatsächlich klingt alles, was noch Mensch sein will im „kleinen Totentanz“, eher wie die Wale, die im Hintergrund singen.
„Keine Karikatur!“ – das Postulat steht auf dem Programm-Faltblatt. Stimmt – Kruse karikiert die Fabel nicht. Elisabeth jagt mit allen Mitteln werktreu hinter dem „Wandergewerbeschein“ her und verstrickt sich dabei immer stärker in kleine Rechtsbrüche. Ausgerechnet im Zusammensein mit dem traurigen Polizisten vom Beginn nützt weder Glaube noch Liebe noch Hoffnung. Linda Pöppel und Manuel Harder sind ein starkes Kruse-Paar; gerade weil sie die Präsenz des wimmelnden Kollektivs nie in Frage stellen.
Wie immer gibt’s auch Momente, in denen das Spinnennetz kleine und größere Risse hat – doch Kruses Methode, dieser krude Kruse-Stil, taugt auch für Horváth.