Openair spielen im Augenblick viele Theater, aber Wandertruppen, die mit ihren Aufführungen von Ort zu Ort ziehen wie einst im 18. Jahrhundert, gibt es nur wenige. Eine dieser Gruppen ist das 2015 von Florian Kaiser gegründete Theater Carnivore, das hauptsächlich im Rhein-Neckar-Raum auftritt. Kaiser versucht dabei an die Spieltradition der Commedia dell‘arte anzuknüpfen und hierfür auch Autoren zu gewinnen, die diesen Weg zwischen Tradition und Modernität mitgehen. Ingeborg von Zadow hat für das Theater Carnivore mit „Liebe oder Leben!“ eine Komödie in sechs Akten nach dem historischen Wanderbühnenstück „Eine schoene lustig triumphirende Comoedia von eines Koeniges Sohne auss Engellandt und des Koenigs Tochter aus Schottlandt“ für die Wanderbühne geschrieben.
Von den historischen Wanderbühnen, die nach dem Spielverbot in Britannien während des Dreißigjährigen Krieges in deutsches Gebiet gekommen sind, wissen wir, dass sie die komplexen Inhalte der Dramen des elisabethanischen Theaters auf reine Aktionen verkürzten, die Clownsnummern ausbauten und mit akrobatischen Nummern zu punkten versuchten. Das muss man im 21. Jahrhundert nicht mehr. Und so wird die Geschichte von der Königin Victoria, die wegen einer alten Liaison, von Malcolm, dem König von Schottland die Krone fordert, zu einer, die die tiefen Verletzungen einer Frau aufzeigt. Aber mehr noch steht die Frage im Zentrum der Handlung, was der Zank der Alten mit deren Kindern macht: Henry, der am Anfang sich hinter seiner Mutter versteckende Sohn der Victoria, verliebt sich Hals über Kopf in Louise, die Tochter des Malcolm – und sie sich in ihn. Beide verteidigen ihre Liebe gegen die Erwachsenen und emanzipieren sich dabei. Am Ende des turbulenten Spiels um Liebe – sowohl in der alten als auch in der jungen Generation – steht plötzlich die Behauptung im Raum, dass Henry und Louise Geschwister sein könnten, ein letzter Versuch von Königin Victoria, die gewonnene Harmonie wieder in Frage zu stellen. Mit vielen Anspielungen auf Shakespeare und manchen Anachronismen ist Zadow eine Komödie über die Liebe und deren Gefährdungen gelungen, die das Potential hat zu einem Familienstück zu werden: In den jungen Menschen, über die die Liebe hereinbricht, spiegelt sich, was einst den Alten geschah. Deren Liebe sich in Hass verwandelte und nun sich wieder zurückverwandelt in Liebe.