Ziviler Ungehorsam am eigenen Herd

Bohrende Fragen, löchrige Antworten

Alistair Beaton: Abgefrackt!

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:21.10.2017 (DE)Regie:Klaus Kusenberg

Wenn das die Queen gewusst hätte! Oder wenigstens Helen Mirren!! Die Briten sind kaum raus aus der EU und schon wird die schöne Insel aufgegraben, weil kein Brüsseler Gesetz mehr den heiligen Rasen schützen kann. Wer das wollte, konnte auch diese Botschaft aus der Premiere von Alistair Beatons Komödie „Fracked!“, die in Nürnberg unter dem noch vieldeutiger scheppernden, nach Frack und Wrack klingenden Titel „Abgefrackt!“ deutsche Erstaufführung hatte, mitnehmen. Mehrere andere Gewissheiten sowieso, etwa die im Epilog einer emeritierten Professorin über die Rampe flammende Erkenntnis, dass patente Rentner ihre Vorbehalte gegen Sitzblockaden überprüfen sollten. Elizabeth, die eigentlich stille Dozentin im Ruhestand draußen auf dem Land, wird auf einer Bürgerversammlung vom heiligen Zorn erfasst, als die Lokalpolitik einen korrupten Wissenschaftler als Kronzeugen für die umstrittene Fracking-Technik auftreten lässt, mit der bei hohem Druck und unkalkulierbaren Risiken das Erdgas unter Schieferschichten an die Oberfläche gepresst wird. Wirtschaftswachstum auf Umweltkosten. Elizabeth protestiert aus dem Publikum heraus, und wer immer noch Zweifel an der eigenen Betroffenheit haben sollte, kann sich im Schauspielhaus an der Wandvertäfelung orientieren, die bruchlos aus dem Parkett auf die Bühne verlängert ist.  Alles ein Raum – oben wird kommuniziert und intrigiert, unten gedacht und gelacht.

Die liebenswerte Spätberufene (Elke Wollmann spielt energisch am Gutmensch-Klischee vorbei und lässt Jammer-Sätze wie „Warum ist heutzutage jeder käuflich?“ wie Beifang-Seufzer klingen), die mit ihrem  auf nette Weise vertrottelten Ehemann (Frank Damerius bastelt robusten Comedy-Rohbau der angenehmen Art) am eigenen Herd den zivilen Ungehorsam trainiert, bekommt nach ihrer unerwarteten Youtube-Medienkarriere als Protest-Oma („Du hast mehr Klicks als Taylor Swift“ – „Wer ist Taylor Swift?“) einen flotten Gegenspieler. Das ist nicht die schrille Bürgermeisterin oder der aasige Energy-Chef, sondern ein skrupelfreier Marketing-Boss. Er konnte mit seiner PR-Agentur noch jeden zwielichtigen Klienten (naja, sagt er, außer Tony Blair) öffentlich reinwaschen. Hier trickst er für die lausigen Fracking-Verträge, schiebt Provinzpolitikern Millionen zu, erpresst und manipuliert, fummelt an dämlichen Werbespots und  geht den Gegner frontal an. Marco Steeger spielt diesen „Leiter Unternehmungsentwicklung“ als Tanzteufelchen, springt zwischen den Szenen auf die Tische und hat trotz pikierter Proteste seines Auftraggebers (der fragt gerne mal zwischendurch „Ist es denn ethisch?“) jederzeit ein Schimpfwort im Einsatz, das sehr ähnlich wie „Fracking“ klingt und meist die Zündstufe für Zyniker-Pointen ist. Woran erkennbar wird,  dass Regisseur Klaus Kusenberg ganz gerne mit seiner kompletten Inszenierung abgehoben hätte vom Trampelpfad der korrekten Debattenkultur. Da ist das Stück samt seiner flüchtig bohrenden Fragen und löchrigen Antworten aber mächtig überfordert.

Alistair Beaton, der anno 2001 mit „Feelgood“  eine deutlich besser zielende Polit-Satire schrieb (auch in Nürnberg, auch von Klaus Kusenberg für Deutschland entdeckt), lässt in seinem neuen, im innersten Kern geradezu um Vernunft flehenden Stück seine mit etwas Infotainment unterfütterten Anliegen von Charakter-Schablonen verhandeln. Da taucht neben einer säuerlichen Anti-Fracking-Aktivistin (Henriette Schmidt kann wirklich mehr als scharf gucken) wie aus versunkenen Kabarett-Zeiten ein verfilzter Dreadlock-Jüngling mit viel „Ey, Alter“ im Wortschatz und Hang zur „Achtsamkeits-Meditation“ auf (Frederic Bott und seine Perücke jonglieren tapfer auf den Plattitüden), während sich ein feist ausgestopfter Gemeinderat (Jochen Kuhl versucht es mit systemkritischem Sabbern) bestechen und dabei abfüttern lässt. Autor Beaton nennt solche Lustspiel-Montagen „zwischenmenschliche Beziehung“ und den ganzen Text „in gewisser Weise ein Klimawandel-Stück“. Kurzum, er meint es gut. Am Ende ist sogar der ständig Espresso transportierende Assistent des Bösewichts bekehrt und Seniorin Elisabeth erklärt uns nochmal so schön die Demokratie, dass man lieber doch nicht „Sissi“ zu ihr sagen möchte.  

Die ebenfalls bohrende Frage, ob das britische Gegenwartstheater mit seiner besonderen Abteilung von unkomplizierter Zeitkritik in Komödien-Verpackung die auf deutschen Bühne vorhandenen Lücken schließen kann, ist in den 18 Jahren der Kusenberg-Direktion immer wieder zur Diskussion gestellt worden. Die Antworten waren gemischt, aber oft überzeugender als bei dieser Premiere, die unter gedecktem Glucksen des Publikums am Ende freundlich quittiert wurde. Mit anschwellendem Beifall für den aus London angereisten Autor, der offenbar zufrieden war und den Regisseur umarmte.