Nicht erst mit dem Erstarken der rechtsopportunistischen AfD hat sich in der Bundesrepublik eine rechte Szene salonfähig gemacht. Wie sehr neonazistische Kräfte in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, erfährt man aus Aussteigerbiographien, die aus Angst vor Repressalien viel zu selten in die Öffentlichkeit gelangen. Heidi Benneckenstein hat es 2017 mit „Ein deutsches Mädchen. Ein Leben in einer Neonazi-Familie“ getan. Sie erzählt die Geschichte ihrer Sozialisation in einer gehobenen Beamtenfamilie, von ihren Auseinandersetzungen mit dem Vater, den völkischen Ritualen in den HDJ (Heimattreue Deutsche Jugend), den Saufereien und Gewaltexzessen, von der Agitation in der NPD, aber auch von der Hilfe, die aus dieser Szene kommt und sie zu einer verschworenen Gemeinschaft macht. Sich daraus zu lösen, ist fast unmöglich. Sie ist verliebt in Felix, der eine ganz andere Geschichte als sie hat und der gerade erfolgreich eine Karriere als rechter Sänger beginnt – und beide wissen, was Verrätern in der Szene blüht.
Benneckenstein erzählt schonungslos gegenüber sich selbst und ihren Mitstreitern. Es prägt, wenn man bis zum achtzehnten Lebensjahr ausschließlich unter Neonazis lebt. Umso beachtlicher, sich aus dieser Prägung zu lösen, sich in der Hilfe für Aussteiger aus der rechten Szene zu engagieren und eine Familie zu gründen, mit Felix, von dem sie ein Kind erwartet. Wenn im Buch, das als schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie angelegt ist, im Nachdenken über die eigene Vergangenheit immer wieder Zweifel an der Ideologie auftauchen, so reduziert die Bühnenfassung dieses Buchs am Landestheater Schwaben in Memmingen diese Ebene der Zweifel enorm. Hier interessiert eher die Binnenschau, die Frage, wie in einer rechten Sozialisation die Organisationen bei der Persönlichkeitsbildung ineinandergreifen und zu einem inhumanen und intoleranten Weltbild führen. Was darüber hinaus versucht wird, ist, die zweifelsohne subjektive Geschichte zu verobjektivieren, anhand des Einzelfalls die gesellschaftliche Entwicklung aufzuzeigen. Das gelingt dem Regisseur Mirko Böttcher, weil er zwei exzellente Schauspieler zur Verfügung hat. Marie Wildmann hat überdies ein praktikables Bühnenbild geschaffen: eine erhöhte leere Spielfläche, an der rechten Seite ein Treppenpodest. Nach hinten wird der Raum abgeschlossen von einer Wand mit 25 Kästen verschiedener Größe, in denen jeweils Spielrequisiten wie das Ahnenbuch oder Kanister aufbewahrt werden. Zugleich lassen sich die Kisten auch stapeln oder dienen als Sitzgelegenheit.