Foto: Ensemble des Theaters Altenburg-Gera in "Liebe macht frei" © Ronny Ristok
Text:Ute Grundmann, am 4. Juni 2022
„Meinst du unser Uns oder euer Uns?“, fragt der Damenimitator den verkappt schwulen SA-Mann, der glaubt, ausgerechnet dort seinen Männern helfen zu können. Aber: „Das ist kein Freundeskreis“, wird er gewarnt. Wie wahr das ist, zeigen die fast drei Stunden im Theater Gera. Schauspieldirektor, Autor und Regisseur Manuel Kressin hat mit seinem Stück „Liebe macht frei“ das komplexe Thema homosexueller Männer in der NS-Diktatur auf die Bühne gehievt. Das ist vieler Ehren wert, aber nicht frei von Problemen.
Unterhaltsam geht es los, wie oft, wenn Kressin und Kröger zusammenarbeiten (Dritte im Bund ist die Dramaturgin Sophie Oldenstein). Nach einer munter-verliebten Kissenschlacht zieht es Robert (Sebastian Schlicht) und Hans (Robert Herrmanns) aus der Provinz ins „sündige“ Berlin. Sie feiern mit beim Damenimitator Lydia de Nutti, bürgerlich Helmut (Thomas C. Zinke) und auch Braunhemd Alfred (Markus Lingstädt) lässt es sich hier gut gehen. Zur schicken Combo (Streicher, Sax, Klavier) wird gebalzt und getanzt. Darüber aber (dank Hubbühne) sorgt sich eine Familie, wo der Verlobte der Tochter, Hans, so lange bleibt. Schließlich will ihm der Nazi Bloch (Thorsten Dara) „eine Praxis verschaffen, die gerade zum Spottpreis zu haben ist“. Damit sind Positionen und Themen-Pflöcke des Stückes eingeschlagen – und für die gerade noch Feiernden geht es vom Cabaret ins KZ.
Klischees und Plattitüden
Schon bis hierher unterlaufen Kressin nicht nur Schwulenklischees, wird in Mischa Spolianskys „Lila Lied“ Qual auf Moral gereimt, die im Gleichschritt marschiert. Der Titel des Stücks, „Liebe macht frei“, der Erinnerungen an den infamen Nazi-Spruch am KZ Auschwitz weckt, stammt vom Überlebenden Rudolf Brazda. Dass und wie viel die Handlung mit ihrer Region zu tun hat, erfahren die Zuschauer aber nur aus dem Programmheft und den anklagenden Texteinblendungen am Ende.
Was Brazda und nur wenige andere überlebt haben, zeigt Kressin nach der Pause in aller Brutalität: Der KZ-Himmel hängt voller Steine, die „Schutzhäftlinge“ sind barfuß und in (ziemlich adretter) Lagerkluft. Statt der authentischen rosa Winkel tragen die „175er“ judensterngelbe Armbinden. Seelische und körperliche Folter sind die Norm: Aus einem Blowjob wird eine Vergewaltigung, von der „Hoden-Folter“ hört man nur die Schreie. Die Herren in den Knobelbechern dagegen haben sich eingerichtet: SS-Mann Bloch ist Lagerkommandant, Hans, ebenfalls in SS-Uniform, hat die Seiten gewechselt und will nun Homosexuelle von ihrer „Krankheit“ heilen. Als de Nutti dabei draufgeht, tut es dem Mini-Mengele um das Material leid – aber nicht um den Menschen.
Wieder kommt Kressin nicht ohne Klischees aus: Der schwule Kapo schimpft die Häftlinge „Schwuchteln“ und ist sadistisch. Plattitüden wie „niemand ist von Grund auf böse“ beschädigen Stück und Anliegen. Dass der „Schwulen-Heiler“ Hans plötzlich Mitleid mit seinen Opfern haben soll, ist nicht glaubhaft. Doch vor allem die jungen Darsteller überzeugen in ihrer Angst, Rat- und Hilflosigkeit und der nie beantworteten Frage, was sie „falsch“ gemacht haben sollen. Einer der ergreifendsten Momente aber ist es, wenn Kurt (Manuel Struffolino) im KZ traurig-sehnend vom vergangenen Glück singt. Dazu senken sich zwischen die Steine am Bühnenhimmel Revuelampen – Zeichen glücklicherer Zeiten, die die meisten dieser Männer nicht mehr erlebt haben.