Foto: Timo Kählert und Glenn Goltz in der „Odyssee“ am Theater Bonn © Matthias Jung
Text:Andreas Falentin, am 11. September 2025
Simon Solberg hat „Die Odyssee“ am Theater Bonn bearbeitet und mit seinem Ensemble einen nachdenkenswerten Theaterabend geschaffen. Angekündigt war eine Sprechoper, doch dafür war die Musik von Ketan Bhatti zu defensiv.
Der Regisseur und Bühnenbildner Simon Solberg hat ein dunkles Mythenspiel entworfen. Aus schwarzem Mulch erheben sich die schwarz gekleideten Schauspieler:innen und beginnen, die „Odyssee“ zu erzählen – abstrakt bebildert mit Tüchern, Bändern, Seilen und Skulpturen, in Schwarz-Weiß-Optik mit ein bisschen Rot für Penelope, Odysseus‘ Gattin. Sie brauchen nur 90 Minuten für die 24 Gesänge von Homer, wobei wenig von seiner Erzählung gestrichen ist.
Man wird schnell hellhörig, weil die Schauspieler:innen die bearbeiteten Hexameter-Gebirge von Johan Heinrich Voß ausgezeichnet sprechen; und weil Simon Solberg gezielt Material ausgewählt hat. Wir erleben eine Männerwelt, die archaisch wirkt, aber sehr heutig ist. Eitles Vorführen der eigenen Energie und der eigenen Moral. Es zeichnet diese Männer aus, dass sie immer Eigenständigkeit behaupten, aber den anderen ihre Eigenständigkeit bestreiten. Zusammengenommen: Es herrscht ein sehr unfreies Klima, in dem sich Odysseus (Glenn Goltz) und seine Kameraden (Christian Czeremnych, Timo Kählert und Alois Reinhardt) bewegen. Penelope (sehr intensiv: Julia Kathinka Philippi) dagegen spielt ruhig, zeigt eine Figur ohne Energie, ohne Raum. Die Männerwelt benutzt sie und schätzt sie nicht.
Neues Ende
Am Ende überschreibt der Regisseur die Vorlage: Telemach, Odysseus‘ und Penelopes Sohn, wird hier im finalen Gemetzel mit ermordet, was ein Zerwürfnis der Ehepartner herbeiführt und unüberwindlich macht. Penelope benennt die Wurzel des Übels: Der Mann ist in einen Krieg gezogen, der ganz unnötig war – um zu spielen, um eine Energie vorzuführen, die er über die Familie stellt. Odysseus bleibt stumm. Das streift mehrere Klischees, trifft aber genau in das Herz der Zeit. Ein großes Plus dieser Aufführung ist, dass klar wird, warum man heute diesen Stoff aufs Programm setzt.
Sprechoper oder Schauspiel?
Neben dem inhaltlichen Zugang ist auch die musikalische Umsetzung ein zentrales Element dieser Aufführung. Diese „Odyssee“ in Bonn wird als „Sprechoper“ ausgewiesen. Auf der Hinterbühne sitzt gerahmt von vier griechischen Säulen das Beethoven Orchester – verstärkt mit einer Djoze (einer irakischen Spießgeige) und einem Duduk (einem armenischen Holzblasinstrument). Die Musik hat Ketan Bhatti geschrieben, dreimal mischt sie sich in die Handlung ein: als Zyklop mit dunklem Brummen, bei Kirke und den Schweinen mit pastellenen Melodien und kreischendem Grunzen, bei den Sirenen mit Sphärenklängen. Ansonsten bleibt die Komposition defensiv, so genau GMD Dirk Kaftan auch feine Farben und Rhvthmen herausdirigiert. Diese Komposition reagiert nicht auf das Handlungsgeschehen, ist mit ihren Technoschleifen und geräuschhaften Zusammenballungen zu schwach, um ein Gegengewicht zu der Sprache von Homer, Voß und Solberg zu bilden. Das neuartige Prinzip „Sprechoper“ funktioniert an diesem Abend nicht. Es fehlt auf der Bühne auch Interaktion zwischen Orchester und Schauspielensemble. Das allgemeine Zuhören bleibt fruchtlos. Das ist schade.
Es bleibt die Gewissheit, dass Homers Mythen nicht alt geworden sind und heute auf der Bühne Platz beanspruchen – als Schauspiel, nicht als Sprechoper.