Solo mit Baum: Steve Karier KARIER

Affäre mit einem Baum

Theresia Walser: Eschenliebe

Theater:Kunstfest Weimar, Premiere:24.08.2023 (UA)Regie:Daliah Kentges

In Theresia Walsers Monodrama „Eschenliebe“ steht die Beziehung eines Mannes zu einem Baum im Zentrum. Beim Kunstfest Weimar gibt Schauspieler Steve Karier ein Solo mit zwei Eimern Wasser.

Diese „Liebeskomödie für einen Mann und einen Baum“ ist im Grunde die auf einen Mann übertragene Adaption des altgriechischen Mythos von der Nymphe Daphne, die von Apollon in einen Baum verwandelt wurde. Allerdings nicht eins zu eins: Denn Luc Teichmann, der Protagonist von Theresia Walsers Monodrama „Eschenliebe“, entschwindet im Baum, während Daphne zum Baum wird. Irgendwann verschmilzt Luc mit einer Esche am Rand seiner Stadt Nähe des Schwarzwalds.

Delikate Affaire eines Angestellten

Regelmäßig versorgt Luc seine Esche mit zwei vollen Eimern Wasser, kommt ihr erst psychisch und später auch physisch immer näher. Schließlich schleicht er zu ihr, wenn die Straßen sich geleert haben und scheidet von seiner Liebe erst im Morgengrauen. Dabei ist dieser Luc alles anders als ein Perversling. Nie hat er sich früher in der Öffentlichkeit das Hemd abgestreift. Bis kurz vor seinem Verschwinden bleibt er auch nach 23 Jahren Arbeitsleben ein zuverlässiger Angestellter seiner Firma. Die Rede richtet Luc Teichmann mit großem Mitteilungsbedarf und etwas Vorsicht an seinen Kumpel Albert. Es geht um Deftiges, aber auch Metaphorisches und um sich an Bäumen sexuell vergehende Personen. Erst als ihm Albert auf die intime Schliche kommt, wird seine Langzeitaffäre für Luc zu einem delikaten Problem.

Um angemessene Wortschöpfungen ist Theresia Walser auch diesmal nicht verlegen. Im Vergleich mit ihren früheren Stücken wie „Herrinnen“ und „Monsun im April“ geht es in „Eschenliebe“ allerdings weitaus zahmer zu. Oder es wirkt zumindest so. Das hat zwei Gründe: Einerseits bietet die diagnostizierte und analysierte Deviation der Liebe eines Mannes zu einem Baum keine eruptiven Erregungsanlässe wie Walsers früher thematisierte Neuaushandlungen von Hackordnungen in Hierarchien oder zwischen den binären Geschlechtern. Zum anderen ist inzwischen in Kultur wie im echten Leben Fakt, dass es mit unserem Planeten garantiert bergab geht und sich nur die perfide Beschleunigung des ökologischen Holocausts nicht genau bestimmen lässt.

Die Liebe des Mannes zum Baum könnte jetzt für vieles stehen: Für menschliche oder vielleicht sogar patriarchale Reue gegenüber der ausgepressten Natur, für einen symbolischen Akt des Verschmelzens von Täter und Opfer, für das neutralisierende Reue-Ritual mit dem an Dürreperioden darbenden und deshalb todkranken Baum. Es kann allerdings auch sein, dass sich Luc der Esche zum lebensverlängernden Opfer bringt wie die naive Audrey der menschenfressenden Pflanze in „Der kleine Horrorladen“. Theresia Walser beschwört Assoziationen an Luc als männliches Alter Ego von Daphne und Audrey herauf. Aber sie schreibt Lucs Rolle weder rhapsodisch noch elegisch, sondern in einer klaren Sprache zwischen Kumpel-Nest und Nachrichten-Terminologie. Beides zu seiner Zeit und absolut stimmig. Im Text bleibt Theresia Walser beim Konkreten und Fakten-Splittern. Sie klopft die möglichen Konsequenzen dieser außergewöhnlichen, aber keinesfalls verrückten Liebe ab. Aber sie belässt es beim Phänomen und überlässt das Auslegen ihrem Publikum.

Mobile Produktion mit zwei Eimern

Eigentlich schade, dass die Premiere dieser mobilen Produktion auf dem schwarzem Podium im Studiotheater des Deutschen Nationaltheaters stattfand. Zwei Eimer Wasser sind die einzigen Requisiten im weißen Lichtzylinder. An zehn weiteren Orten in Thüringen von Mühlhausen bis Schmalkalden wird „Eschenliebe“ zu sehen sein und sich damit die Form der sauberen Regiearbeit von Daliah Kentges den diversen Ambientes anpassen. Kentges hat in dieser Koproduktion von Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und des Kunstfestes Weimar mit dem Schauspieler Steve Karier eine knarzige wie subtile Charaktermarke entwickelt.

Wenn Luc den Baum mit Wasser füttert – zwei volle Eimer in den Händen bis zum Stadtrand sind nichts für schwache Männer –, spielt Karier das als Entschleunigen und Zu-sich-Kommen. Welcher sozialen Schicht Luc angehört, ist ambivalent. Auf alle Fälle ist er ein wacher Zeitgenosse mit Geist und Witz. Kariers Augen funkeln schlau und geben dem Protagonisten eine einnehmende Regsamkeit. Das passt nicht nur auf die Studiobühne zum Kunstfest Weimar 2023 mit dem Motto „Erinnern schafft Zukunft“, sondern auch in das Land Thüringen, welches das Festival vor einigen Jahren für das Erfinden und Bewahren von Geschichten, Anekdoten, Sagen feierte.

In ihre dramatische Episode hat Theresia Walser ein Nachdenken über den Zustand und die Zukunft unseres Planeten eingesponnen. Ihre griffige Beziehungskiste zwischen Mensch und Natur ist die ideale Schauspiel-Garnitur der unter Rolf C. Hemke bedeutsam ausgeweiteten Begehungen im Geo-, Sozial-, und Poesieraum Thüringen beim Kunstfest Weimar 2023.